Sprachlicher Leichtsinn-betr.: "Unvergleichbar" (Autofahrer sind keine NS-Mörder, Tempo 50 kein Todesschuß), Kommentar von Kordula Doerfler, taz vom 19.8.92

Betr.: »Unvergleichbar« (Autofahrer sind keine NS- Mörder, Tempo 50 kein Todesschuß), Kommentar von Kordula Doerfler, taz vom 19.8.92

[...] Tatsächlich ist die Verantwortlichkeit von Verkehrspolitikern, die Tempo-30-Beschränkungen an Straßen aufheben, obwohl Tempo 50 nachweislich genau dort bereits Kinder das Leben gekostet hat, mit der Verantwortlichkeit von DDR-Politikern für das Grenzregime verglichen worden. Es geht also nicht um den Vergleich Autofahrer=Mauerschütze (wie die Untertitelzeile suggeriert), sondern um diejenigen, die es auf Druck der Autolobby zulassen, daß jährlich viele hundert Kinder auf unseren Straßen ihr Leben lassen müssen. Den Sturm der Entrüstung kann ich als persönlich angesprochenes Mitglied des BUND nur Ihnen selbst entgegenhalten. Der Leichtsinn im Umgang mit der Sprache gereicht der taz nicht zur Ehre. [...]

Die Warnung vor unbedachten Vergleichen mit totalitären Regimen ist ja im Kern richtig, aber es muß schon gestattet sein, die bewußte Entscheidung eines Verkehrssenators für eine vermeidbare, todbringende Verkehrsregelung mit dem zu vergleichen, wofür die Verantwortlichen für die Schüsse an der Mauer momentan des Totschlags angeklagt sind.

Womit keine Raser reingewaschen werden sollen. [...] Eckart Klaffke, Berlin 37

Mit nicht geringer Verwunderung habe ich in der taz gelesen, ich hätte auf der Pressekonferenz des BUND zum Verkehrskonzept Tempo-50-Fahren und die Mauer-Todesschüsse gleichgesetzt. Es entsteht dadurch bei deR LeserIn der Eindruck, der BUND wolle normale Autofahrer als brutale Mörder abstempeln.

Beides ist gänzlich falsch verstanden und/oder falsch zitiert worden. In meinem Vergleich zwischen den Todesschüssen an der Mauer und den tödlichen Unfällen mit Kindern auf unseren Straßen habe ich auf die eben auch juristische Verantwortlichkeit von regierenden Politikern für die Folgen ihrer Anordnungen abgehoben, die nicht nur im Fall Erich Honeckers, sondern auch anderswo, beispielsweise im Bereich Verkehrspolitik, gegeben sein sollte, wo aus der Unterlassung verkehrsberuhigender Maßnahmen unschuldige Menschen ohne Not zu Tode kommen.

Wörtlich sagte ich auf der Pressekonferenz: »Wie Erich Honeckers Mauer sind auch viele unserer Hauptverkehrsstraßen zu Todesstreifen geworden. Der Verkehrssenator ist unter anderem auch Betreiber einer potentiell tödlichen Anlage. Die Aufforderung der DDR- Staatsführung an die Grenzer, gegebenenfalls auf Flüchtlinge zu schießen, war strafbar. Die Erlaubnis, Tempo 50 weiterhin auf Straßen zu fahren, auf denen bereits Kinder den Tod fanden, nur weil sie den Aufprall bei eben diesem Tempo 50 nicht überlebt hatten, ist meiner Ansicht nach als grobe Fahrlässigkeit im selben Maße zu ahnden.«

Verkehrsunfälle mit Kindern, die die Straße überqueren wollen, sind eben nicht »tragisch«, sondern sind Ergebnis von Fahrlässigkeit politisch Verantwortlicher, die wissen sollten, daß bei Tempo 30 erheblich weniger Menschen sterben müßten.

Auch im Kommentar »Unvergleichbar« wäre etwas mehr journalistische Sorgfalt angebracht gewesen. Die »Endlösung« in der Kitafrage, die feine Ironie des Heinrich »Stasi« Fink, Uto Wobits Worte zum »Vergasen« der Kinder auf unseren Straßen sowie meine Bemerkungen wären vielleicht besser nicht in einem Topf verrührt worden. Wenn sich die taz-Redakteure denn kritisch der Sprache über Verkehrsthemen annehmen wollen, hier ein Tip: Analysieren Sie doch einmal, wieviel versteckte Brutalität sich hinter der verschleiernden Sprache üblicher Unfallmeldungen verbirgt, wo »unaufmerksame« Kinder auf »tragische« Weise von Kraftfahrzeugen »erfaßt« werden. Dagegen erscheint mir die Rede von der »Entsorgung« von Atommüll als eine geradezu ehrliche Ausdrucksweise. Brigitte Domurath, BUND Berlin, Sprecherin des AK Auto, Berlin 62