„Berechtigter Zorn der Bevölkerung“

Der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern debattiert in Schwerin die rassistischen Ausschreitungen in Rostock/ Weder Innenminister Kupfer noch Ministerpräsident Seite denken an Rücktritt  ■ Aus Schwerin Annette Jensen

„Die Polizei hat ihren Einsatzauftrag erfüllt, keinem Asylbewerber wurde auch nur ein Haar gekrümmt.“ Kurzatmig und mit leicht sächsischem Akzent las Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lothar Kupfer gestern seine Rede vor dem Schweriner Landtag ab. Die Schuld für die rassistischen Ausschreitungen gab er nicht nur der „nach wie vor ungelösten Asylproblematik“, die zu einem „ungehinderten und stetig ansteigenden Zustrom von osteuropäischen Asylbewerbern“ geführt habe.

Auch die Ausländer selbst hätten den berechtigten Zorn der Bevölkerung provoziert, indem sie „auf der Wiese campierten, das Umfeld verunreinigten und in den umliegenden Geschäften und Häusern kriminelle Handlungen begingen“.

Sicher, es habe unter den extremen Bedingungen auch Unzulänglichkeiten gegeben: Umständlich schildert der 42jährige die Ereignisse der letzten Woche, listet am Ende jeden Tages die festgenommenen „Störer“ und verletzten Polizisten auf.

Die entscheidenden Fragen aber beantwortet er nicht: Warum war die Polizei über eine Stunde lang von der Bildfläche verschwunden, während Skins die Aufnahmestelle in Brand setzten und die vietnamesischen Nachbarn in Lebensgefahr brachten? Kupfer erklärt lediglich, eine Hamburger Hundertschaft wäre abgezogen worden, weil sie am nächsten Tag für einen Einsatz in der Heimatstadt benötigt wurde — und die andere Beamten seien „stehend k.o.“ gewesen.

Nein, an Rücktritt denkt der Mann nicht: „Gegen Diffamierung und substanzlose Kritik oder gar Häme wehre ich mich.“ Am Schluß der Sitzung stimmt die Koalition geschlossen gegen die von der Opposition geforderte Absetzung.

Nur ein von der FDP beantragter und schließlich auch von der CDU unterstützter Untersuchungsausschuß findet eine Mehrheit. „Eine Koalitionskrise ist das letzte, was Mecklenburg-Vorpommern jetzt passieren darf“, begründete die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Wolf den flauen Kompromiß.

Noch rassistischer als der Innenminister argumentierte CDU-Fraktionschef Eckhardt Rehberg, der von seinen Parteifreunden viel Applaus erntete. „Daß die Ausländer unsere Sitten und Gebräuche nicht kennen und vielleicht gar nicht kennen wollen, stört die Befindlichkeit unserer Bürger.“ Insbesondere den Sinti und Roma — „zu deutsch Zigeuner“ — unterstellt er kriminelle Energie, die sein Parteifreund Reinhard Thomas später konkretisiert: ständige Angriffe auf Frauen und Mädchen, Diebstähle, und „nachts wird der Parkplatz zum Umschlagplatz für Hehlerware“. Für ihn steht fest: „Wer unlösbare Integrationsprobleme ignoriert, schafft ein nicht mehr kontrollierbares Konfliktpotential, das Links- und Rechtsextremen den Weg ebnet.“ Der „Ausländer raus“-Ruf wird im Parlamentarierdeutsch zum Schimpfen auf Artikel 16 des Grundgesetzes transformiert.

Auch Ministerpräsident Berndt Seite nimmt die Anwohner in Schutz: ihr Unmut angesichts der unbestreitbaren Belastungen sei verständlich gewesen. Verantwortlich für ihr anfängliches Beifallklatschen seien Politiker, die einer Änderung des Artikel 16 nicht zustimmen: „Sie treiben einen Teil unserer Bürger in eine Eskalation der Gefühle hinein.“

Jetzt aber distanziere sich die Bevölkerung von Lichtenhagen und die ganze Bevölkerung Rostocks von diesen Gewalttaten, behauptete Seite und schließt seine Rede wie einen Werbeprospekt: „Mecklenburg- Vorpommern ist ein gastfreundliches Land. Mecklenburg-Vorpommern möchte sich Deutschland und der Welt von seiner schönen Seite präsentieren.“

Harald Ringstorff, Fraktionsvorsitzender der SPD, beginnt seine nachdenkliche Rede mit dem Hinweis auf das Grundgesetz: „Artikel 1 gilt für alle Menschen, für Deutsche und Ausländer.“ Und er fügte hinzu: „Die Würde vieler Menschen ist durch das Versagen verantwortlicher Politiker in Rostock und Schwerin in Gefahr geraten oder verletzt worden.“

Aber auch die Gaffer und anfeuernden Bürger verurteilte er scharf; ihr Verhalten sei durch nichts zu rechtfertigen, sie seien mitschuldig. „Wenn es uns noch so dreckig geht, wenn viele sich von den falschen Versprechungen vieler Westpolitiker zu Recht betrogen fühlen, wenn Flüchtlinge von sonstwoher sich in unseren Grünanlagen noch so schlimm aufführen, sind das alles keine Gründe, sie für vogelfrei zu erklären, sie zu jagen und den Terror in unsere Stadtviertel zu tragen.“

Zu behaupten, eine Änderung des Artikel 16 löse alle Probleme, schaffe eine gefährliche Illusion, die letztendlich zu einer weiteren Eskalation der Gewalt führen müsse. „Wir müssen lernen, mit Fremden zu leben.“