Wahrhaftig mächtig voll

■ Aida in der Waldbühne: die Staatsoper Unter den Linden ging unter die Leute

Jott, was habt ihr für grausame Plätze, sagt der Ordner mitleidig zu der Dame von Welt. Die findet das unerhört: erstens, weil sie geduzt wird. Zweitens, weil sie für so viel Geld auf so blanker Holzbank sitzt. Drittens, weil sie nicht sehen kann, was auf der Bühne los ist, denn vor ihr ragt, mitten im teuersten Block, das Technikzelt auf (der Ort also, wo die Musik gemacht wird, auch davon wird noch die Rede sein müssen). Da kehrt, gottlob, der Gatte zurück. Vergeblich zwar sein Duell um bessere Plätze, aber dafür bringt er den Überblick mit sowie die richtige Einstellung: Guck doch mal, Liebes, dreh dich mal um, mächtig voll hier! Herrlich, was? So viele Menschen! Da ist die bloße Anwesenheit ja schon das Geld wert!

Die Masse macht's, das Ornament ist alles, das Ich ein Nichts, wenn das nichts ist. So lautet die Logik der Waldbühne wie aller übrigen Massenarenen der Welt: das Tollste daran ist dieses Gefühl von Macht in der Ohnmacht (und hier ganz besonders, weil die Arena nicht demokratisch rund, sondern steil und streng axial führerzentriert angelegt ist): daß man selbst nur ein bißchen Fliegendreck ist, wie alle anderen auch; daß man, wie alle anderen, genauso schlecht behandelt wird, genauso wenig sieht oder hört und genauso viel Staub schluckt, Dreck schmeckt und denselben Ärger hat. Das macht Spaß. Über allem blaut, wie es sein soll, der Himmel und dunkelt hoffentlich bald, der Sterne halber. Auf der Bühne steht plötzlich winzig und allein noch ein Fleckchen Fliegendreck, wünscht ganz viel Spaß und macht noch ein bißchen Wetterzauber, weil: wohin mit den kostbaren Instrumenten, wenn es gewittert?

Könnte Petrus gewesen sein oder Kerkeling oder dieser Verdi oder vielleicht Herr Meier von der Versicherung. War aber, was nur wenige wissen und den meisten wohl auch egal ist, der neue Intendant der Staatsoper Unter den Linden, dem man überhaupt dafür danken darf, daß zum ersten Male in der Waldbühne eine komplette echte Oper stattfindet: der nämlich sich und sein marodes altes Haus mit dem Mute der Verzweiflung an den breiten Busen der Masse geworfen hat, mit gleich drei Opern-Open-air-Veranstaltungen, von denen diese hier nun die allergrößte sein wird und deshalb auch die offizielle Eröffnung der Jubiläumsspielzeit zum 250jährigen Bestehen. Der sich damit »bewußt an ein breites Publikum wenden« und künftig Oper machen will »wie in Italien«, als sportstümelndes Volksfest nämlich. Und der dies allen, die es hören wollen, insbesondere aber dem Kultursenat, der es finanzieren soll, anpreist als: den »Start in eine neue künstlerische Zukunft«.

Wie in Italien packt das Volk an diesem Abend nicht Bier und Stulle aus, sondern Chianti, Parmaschinken und Oliven. Ganz wie in Verona gibt es hier italienische Oper in italienischer Sprache. Und hier wie dort geht es rein künstlerisch so klotzig konservativ zu, wie man es anderswo nirgendmehr für möglich hält. Das Bühnenbild prangt in edler Einfalt. Die Sänger und Sängerinnen treten auf wie die Schrankwände und dröhnen ab wie Musiktruhen. Sie geben dabei vor allem darauf acht, daß die schönen Stellen auch schön laut zu hören sind, wobei im Zweifelsfall die Technik etwas nachhilft. Und das ist nun doch ziemlich anders als drunten in Verona, wo noch selber gesungen werden muß. In Berlin, in der Waldbühne, liegt die künstlerische Zukunft der Oper im Knopfmikrophon.

Womit alles gesagt ist, erklärt und entschuldigt: wenn sich nämlich die Schrankwände zu stürmisch bewegen, schnackelt der Kontakt. Schmiegt sich ein Schrank in innigem Liebeswahn zu dicht an den anderen, kommt es zur Rückkopplung. Darum also muß die holde Aida stets breitwandig Abstand halten zum tapferen Krieger Radames, darum geben die beiden ihren allertiefsten Gefühlen nur mittels eines Armwinks Ausdruck. Ein einziger Ausfallschritt en gros muß pro Arie genügen. Mag sein, en detail ist noch einiges mehr an differenzierter Mimik geboten worden. Aber auf eine Entfernung, wo selbst der schärfste Operngucker versagt, kann das sowieso keiner erkennen. (Darauf also kommt's nicht an, fürs nächste Mal: weglassen!) Selbst ob und wie insgesamt so ungefähr gesungen wurde, jenseits der schönen Stellen: der Radames hat (vielleicht) anfangs zu stark geschmiert, die Aida gegen Ende (ein bißchen) zu unsauber intoniert, die Amneris wäre, sollte das Werk noch mal anderswo aufgeführt werden, (höchstwahrscheinlich) die Idealbesetzung... Mit Sicherheit läßt sich das alles nicht sagen, da war die Technik davor. Vermutlich kommt es auch darauf nicht an. Selbst das Orchester, ganz ohne Technik, spielte tendenziell zum Weglassen. Worauf es ankam, das war einzig die allerschönste Stelle: der Triumphmarsch mit den berühmten Aida-Trompeten, mit den Fackelträgern, den aufmarschierenden Massen, den halbnackten Sklaven und den Ritualtänzen. Da war es endlich, das offizielle Zeremoniell und die Teilhabe des Fliegendrecks daran. Da glühten doch noch ein paar armselige Wunderkerzen auf im tausendjährigen Waldbühnenrund. Diese Musik ist schließlich aus der Nudelwerbung bekannt, und zwar nicht nur den Damen von Welt oder dem Herrn von der Intendanz. Der freilich muß sich die ernsthafte Frage gefallen lassen: Wo, bitte sehr, blieben die berühmten Aida-Elefanten? Elisabeth Eleonore Bauer