documenta 9 — Spot 6

■ David Hammons — Rastazöpfe als Lupinen

Spot ist eine taz-Serie zu einzelnen Arbeiten oder Künstler(inne)n auf der documenta 9 in Kassel. Bis zum 20.September

Im New Yorker Stadtteil Harlem, wo nur Schwarze ihr krauses Haar schneiden lassen, hat David Hammons in Friseurläden gesammelt und aufgelesen. Einige Tüten muß er gefüllt haben. Sein eigenes Haar trägt der 49jährige schwarze Künstler unter der traditionellen Strickmütze.

Mit viel Mühe ist der — neben Zähnen und Knochen beständigste — menschliche Abfall im Kasseler Fridericianum arrangiert. Im Zentrum eines etwa sieben mal sieben Meter großen Raumes, den zwei Fenster üppig mit Tageslicht erhellen, steht das titellose Werk, nicht ohne Eleganz: ein mannshohes spinnenartiges Geäst — Gestrüpp, Blume oder Krake — mit einem Durchmesser von mindestens zweieinhalb Metern. Die klassische, feierliche Postion wird durch die weiß getünchten Steinwände unterstrichen. Es gibt keine Tür, nur einen Durchgang zum Gang.

Zusammengedrängt auf dem Boden liegen circa zwölf große, sandfarbene, glatte Steine. In sie hat Hammons feine Löcher gebohrt, um die hunderte von langen Drähten hineinstecken zu können, an denen das gesammelte Menschenhaar in einem Durchmesser von zwei Zentimetern klebt oder haftet. (Schwer zu erkennen, wie es festgemacht ist.) Filzig, scheinbar ungebändigt und aufsessig staken sie in alle Richtungen, Rastazöpfe als Lupinen. Auf dem Boden, und zum Teil auf den Steinen, liegt feinster Haarflaum, wie Blütenstaub, schwarzgrau meliert. Mit anderen Gegenständen geht Hammons sparsam um. Ein paar Zigarettenkippen sind auf Drahtspitzen gesteckt, irgendwo im Gezweig hängt der Rest eines Nylonstrumpfes.

Der „Haarschnitt“ ist ein Ritual imaginärer Wiederherstellung oder Neugeburt. Für Freud aber bedeutet Beschneidung Kastration. (Und hat nicht tatsächlich jedes Mädchen schon einmal geweint, wenn der Friseur zuviel abgeschnitten hat?) In diesem Fall sehen wir nur Haare von Schwarzen, und es ist nicht einfach zu entscheiden, ob man darin den Stolz des Ghettos erkennen soll oder das Elend der Rassentrennung. An eklige Riesenspinnen erinnert Hammons Haar-Werk, an die Pracht von Blumen und an den Tod.

Leider ist der Haarstaub schon etwas mit Hausstaub bedeckt, was zusätzlich schmutzig wirkt. Trotzdem gehört Hammons Installation zu den wenigen archaischen Werken auf der documenta. In der Regel sind die von ihm verwendeten Accessoires nicht gekauft, sondern gefunden: auf der Straße, im Müll oder in der Landschaft — objets trouvés. Man spürt seinen kindlichen Spaß am Sammeln. Zwischen den Rudimenten des Alltags des Natürschönen macht er keinen Unterschied. Vor ein paar Jahren bot Hammons im Central Park schmelzende Schneebälle feil (und lachte für den Fotografen); nach Deutschland hat er weniger Vergängliches mitgebracht. Eindeutig ist seine Kunst politisch, aber sie ist auch auf kontemplative Weise heiter. Ina Hartwig