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Rostock ist überall

KOMMENTAR

Rostock ist überall

Hamburg, Insel der neuen Wirtschaftswunderseeligen, geht es prima. Auf die Deichstraße fallen keine Bomben, die Arbeitslosigkeit beträgt reale zehn und nicht, wie in vielen Städten Mecklenburgs, 40 bis 50 Prozent. Da relativiert sich die Nachricht von der drohenden Trendwende unseres Aufschwungs aus Banane, Bürobauten und Bergen voller Otto-Versandhauskatalogen. Eine Mini-Rezession, käme sie denn, würde zwar die Stadtkasse schmerzen und einigen tausend HamburgerInnen den Arbeitsplatz kosten. Bei den in der Mehrzahl gutbetuchten taz LeserInnen geriete aber weder die Reise auf die Malediven noch die Rate für den Volvo-Kombi in Gefahr. Und sollte es doch eine größere und tiefere Krise geben, wird es anderswo weit schlimmer sein als hier. Immobilienfans könnten sogar jubeln: Die Preise würden purzeln, wie Tokio, Oslo oder Birmingham schon heute zeigen. Taz-Tip an A-14-Bezieher aufwärts: Verschieben Sie den Kauf der Stadtvilla bis die Krise kommt, dann nämlich krachen die Immobilienpreise zusammen.

Dennoch muß uns die drohende Rezession Angst machen. „Rostock ist überall“, sagte dieser Tage ein hochrangiger Hamburger Arbeitspolitiker, der seit einem halben Jahr in Rostock arbeitet: „Die Unfähigkeit der Politik, Probleme zu lösen, ist überall die gleiche. In Hamburg spielt sich das nur auf einem unglaublichen Wohlstandspuffer ab, der die Politikkrise verbirgt“. Schon ein kleiner Wohlstandsverlust, so die Sorge, würde die Politikverdrossenheit in jenen unkalkulierbaren Haß verwandeln, der jetzt im Osten ausbricht. Wer sieht, mit welcher Dummheit, Unfähigkeit und Bauchnabelspiegelei die Hamburger Politik die zurückliegenden vier Wirtschaftswunderjahre verschenkt und verschlafen hat, dem kann allerdings Angst und Bange davor werden, wie das gesellschaftliche Klima in Hamburg aussieht, wenn dem Rathaus die wohlfeile Boom-Town-Maske vom Gesicht gerissen wird. Florian Marten

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