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Haushaltsberatungen 1993: Senat offeriert Riesen-Jackpot

Gähnen auf der Pressetribüne, gähnende Leere im Plenarsaal, als Finanzsenator Wolfgang Curilla gestern abend die Stufe zum Rednerpult der Bürgerschaft nahm. Nur wenige Minuten zuvor war auf vollen Rängen gespannt das Hickhack um die Sagamieten verfolgt worden. Jetzt stieß das große Gewinnspiel des Senats, der Haushaltsplanentwurf 1993, trotz des Rekord- Jackpots von 16,7 Milliarden Mark auf systematisches Desinteresse.

Lag es am Hauptdarsteller Curilla, dessen rhetorischer Glanz sich im Grau-in-grau ewiger Zahlenkolonnen erschöpft? Oder hat sich der alljährliche Bürgerschaftsklassiker der Etatberatungen schlicht abgenützt? Was auch immer — das höchste Recht des Parlaments, die Kontrolle von Regierung und Verwaltung durch die Entscheidungsgewalt über die Stadtkasse, entlockt heute den meisten Parlamentariern allenfals ein müdes Grinsen.

Die Haushaltsberatungen gelten als Ritual. Allenfalls im Haushaltsausschuß wird noch um Details gefeilscht. So mühten sich die Redner auch nicht, vom Drehbuch der vergangenen Jahre abzuweichen. Curilla freute sich über „Konsolidierungsfortschritte“ und schimpfte über Bonn. Rolf Mairose (CDU) und Wilhelm Rahlfs (FDP) jammerten unisono über die Ausgabewut des Senats. GAL-Sprecherin Ulla Bussek entdeckte das unaufhörliche Anwachsen von „politischer Ratlosigkeit“ und “sozialen und ökologischen Problemen“.

Nur einer redete schonungslos Klartext. Der SPD-Haushaltsexperte Gerd Weiland ging brutal mit der Finanzpolitik ins Gericht. Sie schwimme — noch — in einem glücklichen Einnahmeboom. Angesichts erster Rezessionszeichen und weltweiter Wirtschaftsturbulenzen drohe der Marsch ins Verderben. Weiland trocken: “Der Senat hat kein finanzpolitisches Konzept.“ Jackpot einer Chaoslotterie? Florian Marten

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