Tadschikistan ohne Regierung

■ Parlament und Regierung des GUS-Armenhauses haben Präsident Nabijew „faktisch entmachtet“/ Vorwurf der Mißwirtschaft und Spaltung/ Seit Montag ist der ehemalige KP-Chef verschwunden

Duschanbe/Berlin (AP/dpa/taz) — „Überlebenskünstler des Jahres“ — diesen zweifelhaften Ehrentitel hat die Zeitschrift Moscow Guardian vor kurzem Rachmon Nabijew verliehen, dem Präsidenten der südöstlichsten GUS-Republik Tadschikistan. Doch jetzt scheint ihn sein politisches Geschick verlassen zu haben. Am heutigen Freitag soll eine Sondersitzung des Parlaments über das Schicksal Nabijews entscheiden, nachdem ihm Regierung und Volksvertreter vorgestern abend das Mißtrauen ausgesprochen hatten.

Die Parlamentsführung wirft Nabijew vor, das Land mit seinen knapp fünf Millionen Einwohnern an den Rand eines Bürgerkrieges und der Spaltung geführt zu haben. Das Staatsoberhaupt sei „faktisch entmachtet“, behauptete der tadschikische Rundfunk am Mittwoch abend unter Berufung auf die Parlamentserklärung. Weiter heißt es: „Die politische, soziale und wirtschaftliche Situation hat einen Punkt erreicht, wo zu befürchten ist, daß der Staat zerfällt und zusammenbricht.“

Wo sich der umstrittene Präsident aber gegenwärtig aufhält, ist unklar. Seit Montag, als eine aufgebrachte Gruppe von Demonstranten den Präsidentenpalast stürmte und einige Regierungsangestellte als Geiseln nahm, ist er verschwunden. Der Kommandeur der GUS-Streitkräfte in Tadschikistan, General Aschurow, erklärte, Nabijew habe sich bis Mittwoch nachmittag in einer Garnison der GUS-Truppen aufgehalten und sei dann an einen unbekannten Ort gefahren.

Vertreter der führenden Parteien und der Opposition appellierten derweil an die russische Regierung, dafür zu sorgen, daß sich die GUS- Truppen in dem Konflikt neutral verhalten. Der Oberbefehlshaber über die Streitkräfte der GUS, Jewgeni Schaposchnikow, hatte erklärt, die GUS könne Friedenstruppen in das Bergland schicken, um eine Pufferzone zwischen den Konfliktparteien einzurichten. Unterdessen kündigte Innenminister Mamadajes seinen Rücktritt an, da er sich nicht „am brudermörderischen Streit“ beteiligen wolle und keinen Ausweg aus der Krise sehe.

Der 62jährige Agraringenieur Nabijew, den die Parlamentsführung nun als „Fremden im eigenen Land“ bezeichnete, war 1982 erstmals an die Spitze seiner Heimatrepublik aufgestiegen — als Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Fünf Jahre später verlor er dieses Amt. Doch 1991 brachte die KP, der nach dem gescheiterten Putsch in Moskau das Verbot drohte, ausgerechnet Nabijew zurück an die Spitze — als ersten Präsidenten des selbständigen Tadschikistan.

Obwohl Wahlen Ende 1991 ihn in diesem Amt bestätigten, führt Nabijew seither einen ständigen Kampf um den Machterhalt der Nomenklatura im Armenhaus der früheren Sowjetunion. Die an Rohstoffen — außer Uran — und Fachkräften arme Republik im Hochgebirge an der Grenze zu Afghanistan befindet sich in wirtschaftlicher Talfahrt. Nabijew gegenüber steht eine vielschichtige Opposition, die größtenteils islamisch-fundamentalistisch geprägt ist. Im Mai dieses Jahres erzwang diese Opposition nach wochenlangen Demonstrationen vor dem Präsidentenpalast eine Beteiligung an der Regierung. Seitdem hat sich der Machtkampf vor allem in die südlichen Landesteile verlagert, in die Baumwollregionen von Kuljab und Kurgan-Tjube. In diesen islamistischen Hochburgen lieferten sich islamische Freischärler und kommunistische Banden immer wieder blutige Gefechte, angesichts derer die Sicherheitskräfte kapituliert haben.

Unter den Demonstranten in der Hauptstadt Duschanbe befanden sich auch viele Flüchtlinge aus dem Süden. Die Oppositionsparteien, die selbst in der Regierung vertreten sind, lehnen jede Verantwortung für die Unruhen ab. li