Das Gesetz der Serie

■ „Bestie Mensch“, ein Dokumentarfilm über Serienkiller So., 22Uhr, ZDF

Die Todeszelle ist himmelblau. Hinter einem den Raum teilenden Gitter befinden sich die Zeugen. Der Delinquent ruht festgeschnallt auf einer Pritsche. Seine seitlich vom Körper abgespreizten Arme sind auf Stützen festgeschnallt. Wie bei einer Kreuzigung. Die Vene des linken Arms ist mit einer Kanüle durchstochen. Der daran besfestigte Schlauch führt durch ein quadratisches Mauerloch in den Nachbarraum.

Hier steht kein Filmprojektor (der dem Todgeweihten wie in „Soylent Green“ noch ein paar schöne Bilder projiziert), sondern der Scharfrichter. Das Tötungsinstrument ist ein Verschlußhahn. Nach dessen Öffnen fließt Gift durch den Schlauch in die Todeszelle und die Vene des Verurteilten.

Diese kafkaeske Apparatur aus dem Dokumentarfilm „Bestie Mensch“ (ZDF) spiegelt den perversen Wunsch, die Handschrift des Scharfrichters auszulöschen. Der Staat will Gerechtigkeit ausüben, ohne jedoch blutige Hände zu bekommen. Die Unmöglichkeit dieses Unterfangens steht im umgekehrten Verhältnis zum logistischen Aufwand, der die (Blut-)Spur des gesetzlichen Tötens verwischen soll. Die Autorität des Staates wird zur Farce, da sie mit ihrer nackten Ausübung nichts zu tun haben will.

Ein subversiver Typus von Verbrechern wird indes immer häufiger: der Serienkiller. Die Tatsache, daß das Gesetz selbst seine eigenen Konsequenzen scheut wie der Teufel das Weihwasser, ist ihm Anlaß, sich jenseits dieses maroden Gesetzes zu stellen. Der Serienkiller ist der „Künstler“ unter den Mördern. Das Opfer ist für ihn eine Art Schreibfläche: Körper werden zerlegt und zu bizarren Zeichenensembles arrangiert. An der Entschlüsselung dieser höchst subjektiven Botschaften rätselt die Polizei — wie im berühmten Fall der „Schwarzen Dalie“ — manchmal jahrzehntelang erfolglos.

In „Bestie Mensch“ untersucht ZDF-Redakteur Peter Arens diesen Typus des Kriminellen vor dem kulturellen Horizont der USA. Nach Schätzungen von Fachleuten sind dort derzeit etwa 60 Serienkiller unterwegs. Obwohl Mehrfachmörder wie Jack The Ripper oder Jürgen Bartsch auch außerhalb der USA tätig waren, ist das Töten in Serie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu einem Massenphänomen geworden wie die Serien im Fernsehen. Der Serienkiller gehört zum Kulturgut Amerikas.

Arens' Film verfolgt daher populäre Darstellungen des Serienkillers in der Literatur und im Spielfilm. Für die Rolle des Hannibal Lector in Jonathan Demmes „Das Schweigen der Lämmer“ erhielt Anthony Hopkins vergangenes Jahr den „Oscar“. „Das Schweigen...“ ist der Prototyp des Exploitation-Movies, das den Serienkiller als Bestandteil der Popkultur inventarisiert. Der durch die Zuneigung zu Jodie Foster domestizierte, „gute“ Serienkiller Hannibal Lector ist gebildet, kultiviert, hört Beethoven und frönt seiner kannibalischen Leidenschaft mit einem gediegenen Burgunder. Lector steht als Spiegelbild ein Alibi-Bösewicht gegenüber: Buffalo Bill hört Heavy-Metal-Musik, ist unkultiviert und pervers. Kanalisierend vereint er alle negativen Affekte auf sich, die bei Hannibal in diffuse Faszination umgemünzt werden.

Jener Buffalo Bill, der sich aus der Haut seiner Opfer Masken und Kleider näht, ist einem realen Serienmörder aus den 20er Jahren, Ed Gein, nachgebildet, der interessanterweise nicht nur die Vorlage für „Leatherface“ (Tobe Hoopers „The Texas Chainsaw Massacre“), sondern auch für Norman Bates in Alfred Hitchcocks „Psycho“ abgab. Fast alle Serienkiller der Traumfabrik gehen auf das Archiv von Robert Ressler zurück, der Anfang der 80er zudem deren Begriff erst prägte. Als geschätzter „Sachverständiger“ mit dem wohl komplettesten Serienkiller-Archiv der Welt verdient Ressler mehr als früher beim FBI.

„Bestie Mensch“ ist ein mit Fakten vollgepackter Film, der sich im Gegensatz zur Meterware ambitionsloser Dokumentationen um eine formale Gestaltung bemüht, aber nicht abmüht. Das Thema kommt rüber, weil der Autor den Funken seines Engagement bei der Umsetzung spürbar werden läßt. Manfred Riepe