Zehn Leos für Herrn Lehmann

Die Geschichte einer gescheiterten Under-cover-Operation gegen den internationalen Waffenschmuggel  ■ EGMONT R. KOCH UND THOMAS SCHEUER

Das Ambiente entsprach dem Klischee mittelmäßiger Thriller, in denen sich Ganoven stets in den Eingangshallen vornehmer Hotels zu treffen pflegen: Teures Mobiliar, dicke Teppiche, diskretes Personal. Anfang Dezember 1989 saßen in der Lobby des Londoner Hilton ein im Taunus lebender dänischer Kaufmann in Begleitung seiner bildhübschen Tochter, ein portugiesischer Waffenschieber sowie zwei Unterhändler eines arabischen Scheichs zusammen, um einen delikaten, weil illegalen Deal einzufädeln: Den Verkauf von zehn deutschen Leopard-2-Panzern in den Nahen Osten. Die beiden Anbieter waren echt, doch ihre Kunden spielten lediglich eine gefährliche Rolle im Regierungsauftrag: Der eine war ein deutscher Ermittlungsbeamter, der unter dem Decknamen Klaus Peter Lehmann nach London gereist war, sein Begleiter ein Wehrexperte mit profunden Fachkenntnissen über hochkarätiges Nato-Militärgerät. Ihr Auftritt folgte einem Drehbuch, das sie schon einige Monate zuvor geschrieben hatten. Ausgelöst worden war die Under-cover-Aktion durch einen vagen Hinweis aus der Unterwelt. In einer pfälzischen Kneipe hatte ein Ganove zu fortgeschrittener Stunde mit seinen Beziehungen zu Leuten geprahlt, die modernste Waffen aus laufender Produktion beschaffen könnten, selbst den deutschen Wunderpanzer Leo-2 des Münchner Rüstungskonzerns Krauss-MaffeiAG. Dabei fiel auch der Name des dänischen Kaufmanns Dr. Bjoern C. aus Kriftel. Ein zufällig anwesender Mitarbeiter der US- Army hatte die Thekenplauderei aufgeschnappt und seinen Vorgesetzten gemeldet. Wenige Tage später landete der heiße Tip auch beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Doch das BKA lehnte es ab, mit einem verdeckten Ermittler in die Sache einzusteigen. Kurze Zeit später kam die Akte dann auf den Schreibtisch eines Beamten in einer Ermittlungsbehörde des Bundesfinanzministeriums. Deren Name soll hier aus Gründen der Sicherheit der an der Operation beteiligten Fahnder verschwiegen werden. Der Finanzfahnder sah im Gegensatz zu den Kollegen in Wiesbaden durchaus die Notwendigkeit verdeckter Ermittlungen wegen möglicher Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG).

Schließlich stellte sich auch die Frage, ob deutsche Mitarbeiter der Firma Krauss-Maffei in einen illegalen Waffendeal verwickelt waren. Zwischen den BKA-Polizisten und den Finanzfahndern herrschte in den Kulissen erhebliche Mißstimmung, seit das Bundeskriminalamt die Ermittlungen in der legendären Rabta- Affäre um die Lieferung einer Giftgasfabrik nach Libyen an sich gezogen hatte, angeblich weil die Kollegen der Finanzbehörde damals nicht sehr erfolgreich gearbeitet hatten. Gut möglich also, daß man jetzt die Stunde der Revanche für gekommen sah.

Die Finanzfahnder erhielten jedenfalls von ihrem Ministerium grünes Licht für den Plan, einen Ermittlungsbeamten in die Waffenschieber-Szene einzuschleusen, um die Sache mit den Leos zu klären. Das war die Geburtsstunde des Klaus Peter Lehmann. Doch Lehmanns Behörde verfügte nicht eben über große Erfahrungen mit verdeckten Operationen. Lehmanns Probleme begannen mit seiner Legende: Er mußte sich in Eigeninitiative falsche Papiere, Paß und Führerschein, besorgen, weil seine Behörde über keine eigene Fälscherwerkstatt verfügt wie das BKA. Ein Tarnunternehmen der Finanzfahnder im Wormser Weg in Düsseldorf besaß kein Schild am Eingang, keine Mitarbeiter, nicht einmal eine Sekretärin. Keine sehr glaubwürdige Adresse also. „Es war eine absolut amateurhafte Camouflage, die bei einem Geschäft dieses Kalibers unweigerlich in die Hose gegangen wäre und Lehmanns Leben in höchstem Maße gefährdet hätte“, erinnert sich einer der Beteiligten. Erst im zweiten Anlauf bekam der Under-cover-Ermittler — wiederum dank privater Connections — eine glaubwürdige Firmenadresse in der Nähe von London. Der Flop gleich zu Beginn der Aktion mußte Lehmann alarmieren. Wenn sich solcher Dilettantismus nur nicht rächte! Immerhin setzte er nach Einschätzung seiner Chefs Leib und Leben aufs Spiel, zumal er nicht nur Informationen sammeln, sondern als „agent provocateur“ eine internationale Waffenschieber-Kamarilla zu einem Deal provozieren und dingfest machen sollte. Über seine britische Adresse nahm Klaus Peter Lehmann im September 1989 mit Dr.C. In Kriftel Kontakt auf: Ob es stimme, daß der Däne Leos liefern könne. Er habe einen potenten Kunden an der Hand. Um wie viele Gefährte es denn ginge, wollte Lehmann wissen. Bjoern C. gab sich zunächst reichlich zugeknöpft, erklärte lakonisch, er müsse erst Rücksprache nehmen mit einem Mann, den er „Ivan“ nannte. Möglicherweise werde er sich danach wieder melden. Der Name „Ivan“ ließ aufhorchen. Dahinter verbarg sich der portugiesische Waffenhändler Casimir Taveira, ein „big shot“ der internationalen Waffenschieber-Szene. Lehmanns Vorgesetzte holten zwar umgehend bei anderen Behörden Erkundigungen über den Portugiesen ein, konsultierten aber nicht befreundete ausländische Dienststellen, was sich hinterher als schwerwiegender Fehler erweisen sollte. Lehmann erfuhr immerhin: Taveira verfügt aus den Zeiten der portugiesischen Kolonialkriege in Afrika über beste Kontakte in westliche Militär- und Geheimdienstkreise. Er galt als wenig zimperlich in seinen Geschäftsmethoden. Taveira wohnt zeitweise in Belgien, zeitweise in Portugal, hat zahllose Firmen, darunter eine „Western River Inc.“ in Panama mit Filiale in der Rue d' Hermance im idyllischen Genfer Vorort Versoix. Dort residiert allerdings nur ein Winkeladvokat, der nach eigenen Angaben lediglich die Post für „Monsieur Taveira“ weiterleitet.

Ein Dossier über „Ivan“ wies auch darauf hin, daß er gelegentlich mit dem französischen Waffenhändler Georges Starckmann zusammenarbeitete; das habe eine Überwachung seiner belgischen Telefonleitungen bestätigt. Starckmann war einer der Vertrauten des Colonel Oliver North, der unter Präsident Reagan vom Weißen Haus aus die Fäden der Iran-Contra-Affäre gespannt hatte: Den Mullahs in Teheran wurden heimlich Waffen geliefert, mit den Gewinnen wurden hinter dem Rücken des US-Kongresses rechtsgerichtete Rebellen in Nicaragua finanziert und aufgerüstet. Keine Frage: Taveiras Milieu war ein heißes Pflaster für Klaus Peter Lehmann. Umso wichtiger wäre eine internationale Absicherung der Operation gewesen. Nach den ersten Kontakten herrschte wochenlange Ungewißheit. Dr.C. meldete sich nicht. Würde Taveira anbeißen? Die meisten Under-cover-Operationen scheitern schon in der Anfangsphase, weil die Under-cover-Ermittler zwangsläufig Neulinge in der Branche sind, die keinen „Leumund“ haben. Eine wasserdichte Legende ist deshalb unabdingbare Voraussetzung. Sicherlich würde Ivan Lehmanns britische Firma vor der ersten Begegnung gründlich durchleuchten, beim geringsten Zweifel sofort die Finger von der Sache lassen. Doch Ivan ging Lehmann auf den Leim.

Im November meldete sich Taveira gleich mit einer offiziellen Offerte bei Lehmanns britischer Deckadresse. Aus dem Faxgerät tickerte sein Angebot Nr. 266897 L2 über: „10 units Leopard 2, current production, brand new, NATO-standard“; ausgestattet seien die Kampfkarossen unter anderem mit einer „120 mm smooth bore gun by Rheinmetall“, hieß es in dem Schreiben. Preis pro Stück: Rund zehn Millionen DM. Der Fisch hatte also angebissen.

Lehmanns Team war aus dem Häuschen. Noch euphorischer reagierten seine Vorgesetzen. Jetzt würde man es dem BKA endlich einmal zeigen. Casimir Taveira bot tatsächlich Panzer aus der laufenden Produktion bei Krauss-Maffei an. Noch kurz zuvor waren unter der Handvoll eingeweihter Kollegen Wetten darauf abgeschlossen worden, der Portugiese werde vielleicht, wenn überhaupt, niederländische oder Schweizer Leos offerieren. Die holländische Armee hat einige Hundert Panzer vom Typ Leo-2 in ihren Arsenalen und die Eidgenossen dürfen das exklusive Kriegsfahrzeug in Lizenz produzieren.

Aber dann kamen den Sandkasten-Strategen doch wieder Bedenken: Der Leopard-2, das Prunkstück deutscher Militärindustrie, auf dem Schwarzmarkt feilgeboten? War das überhaupt möglich? Wenn alles nur ein großangelegtes Betrugsmanöver war? Dagegen sprach zwar, daß sich Waffendealer vom Kaliber eines Casimir Taveira oder eines Georges Starckmann linke Tricks nicht erlauben konnten ohne ihre „Reputation“ in der Szene aufs Spiel zu setzen. Aber dennoch, beunruhigend blieb die Perspektive, Ivan könnte gewiefter sein als seine beamteten Gegenspieler. Doch jetzt konnte man nicht mehr zurück, ohne das Gesicht zu verlieren, vor allem gegenüber der Konkurrenz in Wiesbaden. Die Operation mußte durchgezogen werden. Und sobald die zehn Leos das Werksgelände von Krauss-Maffei verließen, sprachen sich Lehmanns Vorgesetzte gegenseitig Mut zu, würde man zuschlagen und Ivans Partner in der Münchner Rüstungsschmiede auf frischer Tat ertappen.

Doch soweit war es noch lange nicht. Das nächste Problem kam rasch und für die Under-cover-Amateure unerwartet: Der Portugiese verlangte einen Beweis für die Liquidität seines Geschäftspartners. 100 Millionen Mark für zehn Leos seien schließlich — Scheich im Hintergrund hin oder her — kein Pappenstiel. Im Bonner Finanzministerium gerieten einige Beamte ins Schwitzen. Anfänglich hatten sie die Sache eher für eine spannende Abwechslung in ihrem tristen Büroalltag gehalten. Doch als ihnen jetzt ihr „Spezialagent“ mitteilte, er benötige als Nachweis seiner finanziellen Potenz mindestens 80 Millionen DM, damit die Sache nicht scheitere, bevor sie richtig begonnen habe, fuhr ihnen doch gehörig der Schrecken in die Glieder. Wie kann man, so fragten sich besorgte Staatsdiener, die verinnerlicht hatten, im Zweifelsfall schon mal aus dem Kauf eines Bleistifts oder Radiergummis einen „Vorgang“ zu machen, einen Kollegen unter falschem Namen ein Konto einrichten lassen und ihm dann eine solche gigantische Summe anvertrauen? War Lehmann überhaupt zuverlässig? Oder stand etwa zu befürchten, daß er sich mit seinen „offiziellen“ Falschpapieren und den Millionen aus dem Staube macht, um in Südamerika unbeschwert von den Zinsen zu leben? Keine Frage: Die Fortsetzung der Operation mußte von ganz oben, von der Spitze des Hauses abgesegnet werden.

Die Chefetage des Bundesfinanzministeriums gab ihren Segen. Sie mußte sich auch über die Tragweite ihrer Zustimmung im klaren gewesen sein. Denn der nächste Schritt der Leo-Operation war schlichtweg illegal: Schon die Eröffnung eines Kontos auf einen Decknamen ist in Deutschland verboten. Klaus Peter Lehmann legte bei einer kleinen Vorortfiliale seine falschen Papiere vor, ließ ein Girokonto einrichten. Wenige Tage später gingen per Kurier von der Bundesbank in Frankfurt mehrere Schecks über rund 80 Millionen DM ein. Anfang Dezember 1989 fuhr Lehmann zusammen mit dem dänischen Verbindungsmann Bjoern C. zu der Bank und zog dort, nicht ohne Vergnügen, seine Show ab. Dem Taveira-Emissär quollen angesichts des prallen Kontos schier die Augen über. Soviel Geld hatte er offenbar, selbst als bloße Ziffernfolge auf einem Kontoausdruck, noch nie auf einem Haufen gesehen. Schließlich bestand für ihn nun berechtigte Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluß des Leo-Deals — und somit auf eine ansehnliche Vermittlungsprovision von Ivan.

Schon wenige Tage später verabredeten sich Taveira, der Däne, Lehmann und dessen fachkundiger Begleiter zu einem konspirativen Treffen im Londoner Hilton-Hotel. Zunächst beschnupperten sich die neuen Geschäftspartner. Der Portugiese gab sich als alter Hase im Business: 95 von 100 Interessenten seien sogenannte „Sehmänner“, die Angebote einholen, eben mal sehen wollen, aber doch nie was kaufen. Und von den restlichen fünf seien noch einmal vier Under-cover-Agenten! Klaus Peter Lehmann lief es bei dieser Bemerkung einen Moment lang kalt über den Rücken. Doch dann kam Taveira zur Sache: Er verlangte entsprechende Letter of Credits (LCs), ausgestellt auf Banken seiner Wahl. Lehmann und sein Leo-Spezialist bestanden ihrerseits auf einer Besichtigung der Panzer im Münchner Werk. Ivan versprach, einen Termin zu arrangieren, ließ auch schon erkennen, wie die Aktion praktisch ablaufen solle: Mit Hilfe argentinischer Armee-Generäle. Die Südamerikaner verfügen über exzellente Beziehungen zu Krauss- Maffei, seit sie das Vorgängermodell, den Leo-1, in Lizenz herstellen. Offiziell sollte die „Ware“ auf dem Papier deshalb nach Argentinien ausgeführt werden. Lehmann gab seinerseits vor, die „Fahrzeuge“ von Bremerhaven aus nach Dubai verschiffen zu lassen. Unterwegs, auf hoher See, so schlug der Agent dem portugiesischen Waffendealer in der Hilton-Lobby vor, könne man dann die Frachtpapiere austauschen. Ivan nickte zustimmend.

Über den Preis wurde nicht lange gefeilscht. Lehmann war klar: Sollte seine Rolle für den ausgebufften Schieber Taveira glaubhaft wirken, durfte es seinem angeblichen Auftraggeber aus dem Morgenland für zehn deutsche Leo-2 auf ein paar Öl- Millionen nicht ankommen. Taveira versprach, sich sehr bald wieder zu melden, um die Banken seiner Wahl zu benennen, auf denen Lehmann dann einen Teil des Kaufpreises deponieren müsse. Vorsichtig versuchte der Deutsche seinem Verhandlungspartner Informationen über dessen Partner im Hause Krauss-Maffei zu entlocken. Schließlich konnte dermaßen sensible Nato-Militärtechnologie ja nicht aus einer streng geheimen und vielfach abgesicherten Produktionshalle einfach so verschwinden, zumindest nicht, ohne daß höchste Managementkreise involviert waren. Doch in diesem Punkt ließ sich Casimir Taveira nicht in die Karten schauen.

Kurz vor Weihnachten meldete sich der Portugiese telefonisch bei Lehmann und benannte zwei Privatbanken in Brüssel und in Genf, auf denen fürs erste 18 Millionen D- Mark deponiert werden sollten. Offensichtlich handelte es sich um Institute, mit denen Ivan gute Kontakte pflegte. Lehmann und sein Team plagte deshalb die Sorge, die vorübergehend aus der Bundeskasse abgezweigten Millionen könnten sich im Verlaufe der von Taveira geforderten Transaktionen ihrem Zugriff entziehen. Ein Eiertanz begann. Das finanztechnische Problem war: Die Anzahlung so weit herausrücken, daß Taveira die Panzer zum Rollen brachte, das Geld aber trotzdem selbst unter Kontrolle zu behalten.

In Bonn begann für einige Ministerialbürokraten die Zeit der schlaflosen Nächte. Was, wenn nicht alles nach Plan verliefe? Im Pannenfall wäre es dem Ministerium kaum möglich, einen Prozeß gegen eine ausländische Bank zu führen, die Gelder einer Under-cover-Operation veruntreut hatte. Und wenn der Rechnungshof hinter die Sache kam? Trotz solcher Bedenken durfte Klaus Peter Lehmann noch vor dem Jahreswechsel von seinem Vorstadtkonto acht Millionen Mark nach Brüssel und weitere zehn Millionen Mark nach Genf überweisen — mit der klaren Anweisung, das Geld dort bitteschön zinsbringend (Vorgabe: sieben bis acht Prozent) für zwei Monate anzulegen. Doch die Verhandlungen mit Taveira zogen sich plötzlich in die Länge. Für die bayerischen Osterferien, Anfang April 1990, war endlich der Besichtigungstermin in der „Ordnance Division“, der Abteilung für die schweren Geschütze bei Krauss-Maffei, verabredet worden. Ivan verlangte allerdings, daß zuvor ein weiterer Teil des Kaufpreises, dieses Mal gleich 68 Millionen Mark, auf einem Konto der Banque Continental Du Luxembourg deponiert werde. Lehmann überwies. Doch die Besichtigung der Leos in München platzte im letzten Moment.

Im Finanzministerium wuchs nun die Befürchtung, Taveira wolle sich womöglich die Millionen sichern und dann den Ablauf des Geschehens diktieren. Als ahne jener die Skepsis seines Kunden, präsentierte Ivan beim nächsten Treffen mit Lehmann Mitte Mai ein Telex des Krauss- Maffei-Managers Werner Z. Das Fernschreiben war offenbar kurz zuvor an einen argentinischen General abgesetzt worden. Zwar hatte Taveira dessen Namen und Telex-Kennung geschwärzt. Doch aus dem Inhalt des Schreibens war unschwer ersichtlich, daß Krauss-Maffei dem Empfänger „die Möglichkeit einer Bestellung... von zehn Leopard-2- Waffensystemen... durch die Republik Argentinien bestätigt“. (Ohne Genehmigung hätten die Tanks natürlich auch nicht nach Südamerika exportiert werden dürfen.) Offenbar liefen die Kontakte bei Krauss- Maffei über Christian R., den Repräsentanten der Münchner Waffenschmiede in Buenos Aires. Allerdings ließ das Telex auch keinen Zweifel daran, daß die Leos ohne unwiderrufliches Akkreditiv niemals das Werk verlassen würden.

Über die Zahlungsbedingungen und die Banken, bei denen diese Akkreditive eröffnet werden sollten, kam es Ende Mai 1990 zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Casimir Taveira und Klaus Peter Lehmann. Über seine Briefkastenfirma „Western River“ stellte Ivan für „10 Spezialfahrzeuge, voll ausgerüstet für geophysikalische Forschungen“ eine erste Rate in Höhe von 33 Millionen Dollar in Rechnung. Dieser Teilbetrag, umgerechnet damals immerhin fast 50 Millionen DM, sollte über einen Letter of Credit (LC) der „Banco Arabe Espanol“ (Aresbank) in Madrid abgewickelt werden. Lehmanns Chef rutsche das Herz in die Hose. Dieses Prozedere konnten sie auf keinen Fall akzeptieren. Die Aresbank gilt als nicht über jeden Zweifel erhabene Adresse, hinter der libysches Kapital vermutet wird. Es mußte also gelingen, Taveira eine andere, seriösere Bank als Zwischenstation schmackhaft zu machen und dort dafür Sorge zu tragen, daß die Gelder wirklich nur dann freigegeben würden, wenn eine Empfangsbestätigung der vermeintlichen Käufer, ein sogenanntes „Inspection Certificate“, aus Dubai vorlag — das natürlich nie eintreffen würde. Somit wären die Millionen aus der Bundeskasse gesichert gewesen. Doch diese Variante behagte dem Portugiesen nicht. Mitte Juni 1990 traf er sich mit Klaus Peter Lehmann und dessen Leo-Spezialisten im Novotel der holländischen Stadt Eindhoven. Nach stundenlangen Diskussionen einigten sich die Geschäftspartner schließlich darauf, die angesehene niederländische „Rabo-Bank“ für die finanzielle Abwicklung ihres Deals einzuschalten. Außerdem offerierte Ivan seinem deutschen Kunden als „Bonbon“ noch ein Sonderangebot: 150 Stinger-Luftabwehr-Raketen aus US- amerikanischer Produktion — zum Spottpreis von 150.000 Dollar das Stück. Lehmann war überrascht, fand die Offerte „interessant“ und versprach, mit seinem Auftraggeber zu telefonieren. Stattdessen meldete er sich bei seinen Vorgesetzten.

Krisensitzung im Finanzministerium. Einerseits machte das unerwartete Angebot über die Stinger- Raketen deutlich, daß Ivan noch nicht Lunte gerochen hatte und seinen vermeintlichen Geschäftspartnern nach wie vor vertraute. Das war beruhigend. Andererseits hatte der Portugiese offenbar Probleme mit den Leos und versuchte jetzt stattdessen, amerikanische Waffensysteme zu verscherbeln. Das war höchst beunruhigend für Lehmanns Team, denn amerikanische Stingers fielen nicht in seinen Auftrag. Ohne die deutschen Leos gab es für eine Under-cover-Operation deutscher Beamter keine Legitimation mehr. Peter Lehmann erhielt trotzdem den Auftrag, auch auf die Stinger-Offerte zum Schein einzugehen. Mitte Juli 1990 eröffnete die Rotterdamer „Rabo“-Filiale zwei LCs auf Taveiras „Western-River“ in Genf. Gesamtwert: Rund 68 Millionen Mark. Umgehend ließ der Deutsche die entsprechende Summe aus Luxemburg an die niederländische Bank überweisen.

Doch dann traten neue Schwierigkeiten auf: Ivan wollte die beiden Geschäfte — Leo-Panzer und Stinger- Raketen — jetzt unbedingt miteinander verknüpfen. „Das offizielle Käuferland“, also Argentinien, bestehe darauf, daß „erst die Lieferung der 150 Objekte abgewickelt wird, bevor die technische Inspektion der 10 Objekte stattfinden kann“, schrieb Ivan am 2. August 1990 an Lehmann und unterstrich, „diese Bedingung ist nicht verhandelbar“.

Jetzt dämmerte auch den Ministerialbeamten in Bonn: Taveira hatte tatsächlich mit seinen angeblichen Partnern bei Krauss-Maffei oder mit den argentinischen Generälen Probleme und versuchte, ersatzweise wenigstens die Raketen loszuwerden. Damit war die gesamte Leo- Operation endgültig in Frage gestellt.

Derweil nahm Lehmann wegen der Stinger-Raketen Kontakt mit amerikanischen Dienststellen auf. Er traute seinen Ohren nicht, als die US-Kollegen ihm ziemlich ungehalten erklärten, die deutschen Freunde sollten doch bitte umgehend ihre Finger von dieser Sache lassen. Taveira bekomme die fraglichen Stinger über seinen Genfer Geschäftsfreund Georges Starckmann, der wiederum von der US-Firma „Tampa-Helicopters“ in Florida. Und letztere sei, so erfuhr der verdutzte deutsche Under- cover-Agent von den Amerikanern, „unsere Firma“.

Im Klartext: Der Stinger-Deal war Teil einer Under-cover-Operation der CIA, gerichtet entweder gegen Georges Starckmann oder Casimir Taveira oder beide. Jetzt rächte sich, daß Lehmanns Behörde sich nicht mit den ausländischen Partnerdiensten kurzgeschlossen hatte. Eine weitere Frage trieb plötzlich Lehmann um: Sollte das BKA etwa von der US-Operation gewußt haben und deshalb nicht selbst in die Causa Taveire eingestiegen sein?

Im Bonner Finanzministerium herrschte Alarmstimmung. Jetzt ging es darum, die auf diversen Konten in Europa verteilten Millionen schnellstens einzusammeln und über zwischengeschaltete Provinzbanken unauffällig an die Bundeskasse zurückzuschleusen. Noch einmal schwitzten die Bonner Bürokraten: Einerseits war die übereilte Abwickelung aufgrund der amerikanischen Intervention mit erheblichen Risiken für Klaus Peter Lehmann verknüpft; andererseits malten sich einige ernsthaft aus, was geschehen würde, wenn Lehmann auf dem Heimweg von seiner Mission doch noch auf die Idee käme, die Jahreszinsen seiner „Spielmillionen“ mal grob über den Daumen zu peilen und mit seinem Jahresgehalt zu vergleichen.

Mitte September 1990 gingen auf der Kreissparkasse Zweibrücken die 68 Millionen von der niederländischen Rabobank nebst Zinsen ein — die Gutschrift lautete auf einen Herrn Klaus Peter Lehmann. Doch der besaß dort gar kein Konto. „Bezüglich der Verbuchung benötigen wir das Geburtsdatum und die genaue Anschrift des Empfängers“, schrieb eine hilflose Angestellte an die Rotterdammer Kollegen zurück. Aber genau das war das Problem: Klaus Peter Lehmann war tot. Der verdeckte Ermittler hatte seine zweite Identität sofort nach dem Gespräch mit den amerikanischen Freunden abgelegt. Exakt nach Dienstanweisung. Wie aber sichert man insgesamt 80 Millionen DM Steuergelder, deren nomineller Eigentümer gar nicht mehr existiert?

Das hatten die „Spezialisten“ in Lehmanns Amt in ihrer Begeisterung fürs Agentenspiel glatt vergessen. Nun standen sie nicht nur dumm da, weil sie einer amerikanischen Geheimdienstoperation in die Quere gekommen waren und über mögliche Lecks bei Krauss-Maffei ohnehin nichts rausbekommen hatten. Jetzt kamen sie möglicherweise noch nicht einmal mehr an die eingesetzte Staatsknete heran. In ihrer Panik setzten sie alles aufs Spiel: Die Sicherheit ihres Ermittlers. Am 18.September 1990 offenbarte die betreffende Ermittlungsbehörde des Finanzministeriums der Sparkasse in Zweibrücken die Legende des Klaus Peter Lehmann samt dessen Dienststelle. Ein entsprechender Brief über die streng geheime Operation wurde einer Bankangestellten in der Schalterhalle mit der dringenden Bitte übergeben, „der Einrichtung des Kontos ,Lehmann‘ zuzustimmen“ .

Jeder Sparkassenlehrling konnte nun, wenn der Zufall es wollte, die Identität Lehmanns erfahren. Welches Risiko dieses bürokratische Glanzstück barg, verdeutlicht ein Sperrvermerk, den die eingeschaltete Staatsanwaltschaft Kaiserslautern zu Papier gebracht hatte: „Im Falle der Aufdeckung der Identität des VE (verdeckten Ermittlers, d. Red.)“, heißt es in dem Papier, „muß für diesen wegen der von ihm gewonnenen Erkenntnisse über Personen und Zusammenhänge des illegalen internationalen Waffenhandels akute Lebensgefahr befürchtet werden“.

Der Beamte, der Klaus Peter Lehmann gewesen war, und sein Team waren fortan zu Zaungästen der Operation ihrer amerikanischen Kollegen in Sachen Taveira und Starckmann verurteilt. Wenige Wochen später brachen Unbekannte in das Genfer Büro von Georges Starckmann ein. Unter den gestohlenen Geschäftspapieren, die bald darauf in Kopie anonym einigen wenigen Journalisten zugespielt wurden, befand sich auch ein US-Exportzertifikat für Stinger-Raketen; daneben Briefbögen der argentinischen Luftwaffe, blanko unterzeichnet von einem General sowie Geschäftskorrespondenz, in der auch Taveiras Genfer Ableger „Western River Inc.“ auftaucht. Georges Starckmann räumte im Gespräch mit den Autoren dieses Berichts ein, von den zehn Leos für Herrn Lehmann gewußt zu haben. Doch er will recht bald gerochen haben, daß es sich um einen deutschen Agenten handelte. Daß der Mann vom BND kam, davon ist Starckmann noch heute fest überzeugt. Denn ein echter Kunde aus dem Nahen Osten, so seine Erklärung, hätte seinen Unterhändler längst in die Wüste geschickt, wenn dieser monatelang in Europa herumgehampelt wäre, ohne die Panzer je gesehen, geschweige denn nach Hause gebracht zu haben. Über seine eigene Rolle bei dem Leo-Geschäft schweigt sich Starckmann aus. Die Raketen will er Taveira lediglich im Auftrag der CIA angeboten haben. Das kann stimmen. Immerhin wurde Starckmann im Rahmen der Iran- Contra-Affäre als Waffenbeschaffer für die verdeckten Operationen des Oliver North aktenkundig. Der verweis auf seine angebliche CIA-Connection kann aber genauso gut eine simple Ausrede sein, mit der Starckmann seine wahre Rolle in Taveiras Spiel um Leos und Stingers vertuschen will.

Bleibt als Bilanz unterm Strich: Schätzungsweise eine Million Mark kostete die SteuerzahlerInnen Lehmanns Ausflug in die Under-cover- Welt. Zinsgewinne auf ausländischen Konten schon berücksichtig. Bei der amtsinternen Manöverkritik sprachen sich Lehmanns Vorgesetzte gleichwohl für künftige Under-cover-Einsätze dieser Art aus.

Immerhin sei es gelungen, „Schaden von der Bundesrepublik“ abzuwenden. Denn „im Falle der erfolgreichen Durchführung des geplanten Waffentransfers in den Nahen Osten“, so die Schlußfolgerung der Ministerialbeamten im gestelzten Amtsdeutsch, „hätten die Merkmale der Gefährdung der Sicherheit, des Friedens und der erheblichen Störungen der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland vorgelegen“. Doch ob Taveira die Leos tatsächlich beschafft hätte, ob das Prunkstück deutscher Wehrtechnik über Schwarzmarktkanäle in falsche Hände hätte geraten können, ob beim Nato-Lieferanten Krauss- Maffei tatsächlich ein Schlupfloch bestand, diese Frage ist bis heute ungeklärt.

Lehmanns amerikanische Branchenkollegen brachten ihren Job dagegen erfolgreicher zu Ende: Nachdem der Franzose Starckmann gut zwei Jahrzehnte lang ungestört seine Geschäfte von Genf aus einfädeln konnte, entzogen ihm die schweizerischen Behörden vor wenigen Wochen die Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung. Seit Juli ist Starckmann „auf Reisen“, wie sein Sekretär mitteilt.

Noch mehr Pech hatte Taveira: Mitte März 1992 verhaftete die spanische Polizei in einem Hotel in Madrid sechs Männer. Unter ihnen war Mehdi Kashani, der Geheimdiensten als Kopf der Beschaffungsorganisation des Iran gilt, die seit Beginn der 80er Jahre im westlichen Ausland Waffen und strategisches Material aufkauft. Mit ins Netz ging auch „Ivan“ alias Casimir Taveira. Er wollte den Iranis in den USA Ersatzteile und elektronische Komponenten für die Lenkwaffensteuerung ihrer noch aus den Zeiten des Schah stammenden amerikanischen Phantom-Kampfjets besorgen. Wochenlang hatten Fahnder einer Sondereinheit des spanischen Innenministeriums Kashani sowie mehrere Mitglieder der iranischen Botschaft beschattet. Im Hotel „Eurobuilding“ schlug die Polizei dann zu, als die Runde gerade mit einem amerikanischen Businessman handelseinig geworden war. Der Amerikaner konnte als einziger unerkannt entkommen. Die Ware, die der Amerikaner angeboten hatte, stammte — was für ein Zufall — von der Firma „Tampa Helicopters“ in Florida.