Europa im Krieg: Warten auf die Barbaren

■ Heute bringen wir in unserer Serie zwei Repliken: eine auf Lothar Baiers Artikel in der taz und eine auf Frank Schirrmachers Polemik in der „FAZ“ vom letzten Samstag

Am 15. August konstatierte die kroatische Intellektuelle Dunja Melcic in unserer Reihe „Europa im Krieg“ den „Bankrott der Intellektuellen“. Lothar Baier antwortete darauf am 22. August, Dunja Melcic unterliege einer romantischen Täuschung, wenn sie die französischen „engagierten“ Intellektuellen gegen die deutschen ausspiele. Heute antwortet Melcic auf Baiers Replik. Auch die „FAZ“ hat inzwischen bemerkt, daß anderweitig über den Jugoslawien-Konflikt diskutiert wird, auch wenn Frank Schirrmacher in seiner Polemik „Neues vom Zauberberg“ („FAZ“ vom letzten Samstag) nicht recht deutlich macht, daß fast alle intellektuellen Statements, die er zitiert, aus unserer Reihe „Europa im Krieg“ stammen. Willi Winkler, der diese Reihe für uns organisiert hat, antwortet auf Frank Schirrmacher (d. Red.).

Wir befinden uns im Jahre 1992 n. Chr. Ganz Deutschland ist der Frankfurter Allgemeinen unterworfen... In endlosen Triumphzügen wurden die Feinde der FAZ, die Barbaren von 1968ff., am goldenen Nasenring übers Forum Romanum des Feuilletons geführt, vorbei an Joachim Caesar Fest, der den Gefangenen von weitem aber huldvoll zuwinkte. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Linken bevölkertes Dorf hörte nicht auf, dem Aggressor Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für den deutschen Oberlegionär Francus Inquisitus (vulgo Schirrmacher) in seinem befestigten Lager. Immer wieder kommt es im Hinterland zu Aufständen, die unser Legionär allerdings mit blutiger Härte niederschlagen läßt. Gelegentlich muß er auch selber zum Schwert greifen, dann purzeln die Köpfe links und rechts von seinem Streitwagen. Ha! Und da! Und da!

So wieder am vergangenen Samstag, als Schirrmacher in der FAZ unter der Überschrift „Neues vom Zauberberg“ eine weitere Kampagne gegen die widerspenstigen Barbaren führte. Ein ganzes Nest hatte er entdeckt, Intellektuelle, die wechselweise „Diplomaten“ sind oder „sich selber ins Gespräch“ bringen wollen oder gar auf einen „Weltenbrand“ aus sind.

Merkwürdig nur, daß er für seine Erregung lauter Beiträge aus der taz braucht, schon weniger erstaunlich, daß er keinen einzigen korrekt zitieren kann, weil „engagiert“ und „kritisch“ ihm ebenso einerlei sind wie Singular und Plural. Selbst den einen Satz, den er Gräfin Dönhoff verübelt, muß er sich aus seinem taz-Artikel von Dunja Melcic borgen.

Aber hören wir einmal hinein, hören wir, wie es klingt, wenn Francus Inquisitus berserkert. „Jenen Rhetorikprofessor“, Walter Jens nämlich, beschimpft er, weil dieser Kriegsverbrecher es wagte, „während des Golfkriegs amerikanischen Deserteuren sein Eigenheim als Unterschlupf“ anzubieten. Das sei ein „Engagement, das nichts kostet“. Peng, das saß! Wirklich traurig, daß bisher sowenig über die serbischen Kriegsdienstverweigerer verlautet, die in Frankfurt am Main im Hause von Frank Schirrmacher Obdach gefunden haben.

Jahre habe es beim Barbaren und Literaturkritiker Lothar Baier gedauert, „ehe Herr Reich-Ranicki ihn wieder loswurde“, behauptete der tapfere kleine Legionär unlängst in einem Interview mit der Frankfurter Zeitschrift Listen, vergaß aber zu erwähnen, daß er selber Lothar Baier in zwei Briefen die Mitarbeit in seinem Literaturblatt angetragen hat. Und schweigt erst recht davon, daß nicht Herr Reich-Ranicki Herrn Baier loswurde, sondern dieser vom caesareisch geführten Feuilleton der FAZ genug hatte. Diesmal wirft der enttäuschte Freier Baier vor, in der „Vergangenheit noch zu jedem lokalen und globalen Thema (...) besorgt das Wort ergriffen“ zu haben, und das, wir vernehmen schaudernd solchen Frevel, „oft in fünf Zeitungen gleichzeitig“. Das nenn' ich mir tapfer gehauen und gestochen vom Redaktionshochsitz herab.

Der „sanfte Poet“ Peter Handke ist für Schirrmacher der „Phänotyp des neuen Intellektuellen“, weil er auf die nie gestellte „Frage, was er zu dem Krieg (gemeint ist der im ehemaligen Jugoslawien) zu sagen habe, er hätte lieber „über Deutschland, dem ich endlich auch einen Bürgerkrieg wünsche“, geschrieben. Sauberer Hieb, das.

Das Kriegshandwerk fordert den ganzen Mann, aber lesen müßte Er doch gelernt haben, Legionär Schirrmacher. Im Begleitbrief zu seinem Beitrag, den Peter Handke für die taz-Serie „Europa im Krieg“ geschrieben hat, heißt es nämlich folgendermaßen: „Ich hätte noch ein paar Sätze hinzufügen können über das Europa, wie es seinerzeit am wirklichsten in Jugoslawien anzutreffen war und wie es jetzt nicht mehr dieses wilde kräftige Europa sein kann, über die Jungen in Jugoslawien nach Titos Tod, die von ihrem Land begeistert waren, über Deutschland, dem ich endlich auch einen Bürgerkrieg wünsche (?), über die kriegstreiberische FAZ, den kriegsgewinnlerischen Spiegel.“

Das Fragezeichen wird einfach unterschlagen und dafür frech behauptet, Handke hätte lieber über Deutschland geschrieben. In der FAZ gilt es schließlich die Aufklärung zu bekämpfen, weil sie den Barbaren angehört, dieser „Zauberberggesellschaft“, und die ist „längst durch tausenderlei Rücksichten, Intrigen und Zugeständnisse gelähmt“.

Aber bekanntlich ist nur über den Wolken und in der Frankfurter Hellerhofstraße die Freiheit grenzen- und rücksichtslos. Nur irgendwie blöd, daß Schirrmacher in seiner eigenen Zeitung nicht die volle Wahrheit zitieren oder zugeben kann, daß sein Centurio Reißmüller mit vorbildlichem Eifer und fast jeden Tag, den Gott Eisen wachsen ließ, sein „Serbien muß sterbien“ verkündet...

Wenn das Argument schwach, der Äußerungsdruck („Bekennermut und Redewut“ heißt das bei unserem tapferen kleinen Toaster) aber so stark ist, wird Schirrmacher ganz poetisch zumut: „Wie die Geschichte Hans Castorps hat sie gespielt, vormals, ehedem, in den alten Tagen der Welt vor der großen Wende, mit deren Beginn so vieles begann, was zu beginnen kaum aufgehört hat.“ Der Beginn also hat begonnen und ist deshalb noch nicht zu Ende, denn er beginnt ja immer noch, oder was, oder wie?

Kann es denn sein, daß FAZ-Legionär Schirrmacher sich ärgert, weil die Debatte „Europa im Krieg“ nicht bei ihm, sondern in der taz stattfindet? Oder warum entdeckt er bei der „alten Zauberberggesellschaft“ konspirationstheoretisch irgendwelche „falschen Rücksichten und faulen Kompromisse“? In der taz-Serie wird ja gerade nicht der ideologische Krieg sich großtuender Schwafelbrüder und -schwestern ausgetragen, sondern hier schreiben nur Autoren, die, jeder für sich, mehr über Jugoslawien wissen als die gesamte Redaktion der FAZ. Hier schreiben aus Ungarn Gyorgy Konrád und Agnes Heller, aus Kroatien Dunja Melcic und Slavenka Drakulić, schreiben der Slowene Florjan Lipuš, der Serbe Mirko Kovac, der Montenegriner Milovan Djilas, die italienischen Anrainer Fulvio Tomizza und Claudio Magris und selbstverständlich Peter Handke, der vom Krieg in Jugoslawien mit mehr Recht spricht, als jemand, der in einem fort von „Öffentlichkeitsstruktur“ und „Herrschaftsinstrument“ und „Meinungsmonopol“ faselt.

Aufgepaßt, Legionär Inquisitus: Wer Zitate nachmacht oder verfälscht oder nachgemachte oder verfälschte Zitate sich verschafft oder in Verkehr bringt, wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter zwei Wochen bestraft: abzusitzen im Lager der Barbaren, aber geknebelt und an Troubadix gefesselt, während die anderen fröhlich beim Wildschweinbraten sitzen.

PS: Morgen erläutert die Schriftstellerin Herta Müller in ihrem Beitrag zur taz-Serie „Europa im Krieg“, warum der Westen in Jugoslawien intervenieren muß. Willi Winkler