Berlin, Potsdamer Platz: Renzo Piano baut für Daimler

■ Aus Wüste wird Metropolis * Für die Gestaltung des Daimler-Benz-Komplexes auf dem Berliner Potsdamer Platz bekam am Samstag der italienische Stararchitekt Renzo Piano den Zuschlag.

Aus Wüste wird Metropolis Für die Gestaltung des Daimler-Benz-Komplexes auf dem Berliner Potsdamer Platz bekam am Samstag der italienische Stararchitekt Renzo Piano den Zuschlag.

AUS BERLIN EVA SCHWEITZER

Der Sieger des von Daimler- Benz ausgeschriebenen Architektenwettbewerbs für die Gestaltung des Potsdamer Platzes in Berlin steht fest: Der 55jährige Italiener Renzo Piano, der das Centre Pompidou in Paris entwarf, wird die neue Dienstleistungszentrale des Konzerns bauen. Einstimmig entschied sich die 21köpfige, signifikant unterquotierte Jury — in der Vertreter von Daimler, des Berliner Senats, darunter der Regierende Bürgermeister, und viele namhafte Architekten saßen — nach einer zweitägigen Beratung am Samstag für den renommierten Architekten. Ausschlaggebend sei gewesen, so der Jury-Vorsitzende Max Bächer, daß Piano die nahegelegene Staatsbibliothek in seinen Entwurf miteinbezogen habe. Damit, so Berlins Bausenator Nagel (SPD), sei das gesamte Kulturforum (darunter die Philharmonie) integriert. Auch die Gestaltung eines Teils der alten Trasse der Potsdamer Straße als zentrale Fußgängerachse habe die Jury überzeugt.

Piano setzte sich bei dem Wettbewerb durch gegen die Münchner Architekten Heinz Hilmer und Christoph Sattler, die zuvor den städtebaulichen Wettbewerb zum Potsdamer Platz gewonnen hatten, Richard Rogers aus London sowie gegen Josef Paul Kleihues (Berlin), Mario Campi (Lugano), Meinhard von Gerkan (Hamburg), Wilhelm Holzbauer (Wien), Arata Isozaki (Tokio), Hans Kollhoff (Berlin), Ulrike Lauber und Wolfram Wöhr (München), Richard Meyer (New York), Jose Rafael Moneo (Madrid), Otto Steidel (München) und Oswald Mathias Ungers (Köln).

Pianos Vorschlag orientiert sich an der rasterartigen, 35 Meter hohen Blockstruktur, die Hilmer und Sattler vorgegeben hatten. Am nordöstlichen Eingangsbereich befindet sich ein 80 Meter hohes Hochhaus, das mit dem — allerdings 97 Meter hohen— Tower des Nachbargrundstücks der Firma Sony eine Torsituation bildet. An der Südseite des Grundstücks am Landwehrkanal wird es ein zweites, gleich großes Hochhaus geben, das deutlich höher ist als im laufenden Bebauungsplanverfahren vorgesehen. Hier wird die Daimler-Dienstleistungsgesellschaft Debis residieren. Das Weinhaus Huth, das letzte alte Haus am Platz, wird in den Entwurf integriert. Zur Staatsbibliothek hin, an deren abweisende hohe Rückwand das Daimler-Grundstück grenzt, wird ein zur Bibliothek passendes Gebäude entstehen, um dieses herum eine umgrünte Wasserfläche.

Der Entwurf stimmt nicht ganz mit den Grundstücksgrenzen überein, so daß Daimler eine Teilfläche gegen zwei landeseigene Grundstücke tauschen muß, die — extrem gutwillig interpretiert — etwa gleich groß sind wie das Grundstück, das Daimler hergibt. Durch diesen Grundstückstausch überlagert das Dienstleistungszentrum die vom Berliner Senat beschlossenen Eisenbahntunnel und Autotunnel, die weiter unter dem Tiergarten verlaufen werden. Beide Tunnel müssen bis zum Jahr 1996 so weit fertiggestellt sein, daß der Deckel geschlossen ist— damit stehe und falle das Projekt, sagten übereinstimmend Daimler-Projektleiter Manfred Gentz und Bausenator Nagel. Das am Rande der Pleite lavierende Land Berlin erwartet vom Bund, daß er für das Milliardenprojekt Autotunnel aufkommt, was dieser bisher jedoch ablehnte. Der Senat baue nun darauf, daß der nicht ganz einflußlose Konzern in Bonn alsbald darauf drängen wird, daß der Bund den Tunnel bezahlt, befürchten Kritiker des aus Umweltschutzgründen umstrittenen Tunnels.

Nur ein Bruchteil des drei Milliarden Mark teuren Komplexes mit seinen insgesamt 340.000 Quadratmetern Bruttogeschoßfläche wird von Daimler selbst genutzt. Auf dem circa 60.000 Quadratmeter großen Gelände soll eine „lebendige Innenstadt“ entstehen, so Gentz. Dazu gehören Büros, 750 Wohnungen, Läden, Restaurants, ein Hotel und ein Musical-Theater mit 1.500 Plätzen in dem Gebäude an der Staatsbibliothek. Die Daimler-Vertreter ließen durchblicken, daß man wegen des Theaters mit dem Stuttgarter Medien-Mogul Rolf Deyhle, möglicherweise auch mit dem Hamburger Musical-König Friedrich Kurz verhandele. Sowohl Deyhle wie auch Kurz hatten — bislang vergeblich — versucht, in Berlin ein Musical-Theater zu kaufen beziehungsweise zu bauen. Deyhle und der Daimler-Generalbevollmächtigte Matthias Kleinert, die frühere rechte Hand des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth, kennen sich aus Stuttgart.

Mit dem Ergebnis zeigten sich bei der prominent besetzten Vorstellung des Wettbewerbs sowohl Daimler als auch die anwesenden Senatsvertreter zufrieden. Nagel erwartet von dem Piano-Entwurf „großstädtisches Leben“, die Gestaltung Berlins als europäisches Wirtschaftszentrum sei eine Herausforderung für die Stadt. Die Daimler-Vertreter betonten mehrmals, daß man dringend darauf angewiesen sei, daß die Verkehrsinfrastruktur in den nächsten Jahren stehe. Neben der Sanierung einer bestehenden U- und S-Bahn ist der Bau von drei weiteren Linien vorgesehen. Dies und eine Verkürzung der Taktzeiten seien unabdingbar, so Gentz. Der Senat stehe darüber hinaus im Wort, neben den 2.500 Parkplätzen auf Daimler-Gebiet weitere 1.500 Parkplätze in fußläufiger Entfernung zur Verfügung zu stellen. Der Senat hatte dafür ein nahegelegenes Bahngelände ausgeguckt. Die Reichsbahn ist allerdings nicht gerade dafür bekannt, daß sie ihre Grundstücke freudestrahlend herschenkt, so daß es da möglicherweise noch Komplikationen geben wird.

Mit dem Daimler-Ergebnis zeigten sich die Senatsvertreter deutlich glücklicher als mit dem Entwurf des deutsch-amerikanischen Architekten Helmut Jahn für die benachbarte Sony-Zentrale, der vor drei Wochen vorgestellt wurde. Jahn hatte — abweichend von der städtebaulichen Vorgabe und in keiner Weise zu dem Daimler-Entwurf passend — eine monolithisch in die Stadt gepflanzte „Sony-City“ entworfen, mit einer riesigen überdachten und damit nichtöffentlichen Rotunde in der Mitte. Zudem wird bei Sony die historische Fassade des Filmhauses Esplanade in den krassen Gegensatz einer Stahl/Glas-Konstruktion gezwängt. Im Gegensatz zu Daimler sei das Wettbewerbsverfahren bei Sony in kürzester Frist über die Bühne gegangen, es wurde sogar darauf verzichtet, der Jury alle Modelle vorzuführen. Jahn sei schon vorher Favorit der Sony-Geschäftsleitung gewesen, das ganze Verfahren demnach eine Farce, hieß es.

Sowohl der Entwurf von Sony wie auch der von Daimler werden in den nächsten vier Monaten noch einmal überarbeitet und abgestimmt. Daran werden neben dem Sieger auch andere Architekten teilnehmen. Die Ergebnisse der Abstimmung werden in das parallele Bebauungsplanverfahren eingearbeitet, das Mitte 1993 rechtskräftig festgesetzt werden soll. Unmittelbar darauf will Daimler mit dem ersten Bauabschnitt beginnen, ein Jahr später mit dem zweiten Bauabschnitt. Die Firma hofft 1997 fertig zu sein.