PRESS-SCHLAG
: Die Oma des Fußballers

■ Ahnenforschung als Erfolgsrezept

Noch nie war es leichter, englischer Fußball-Nationalspieler zu werden — wenn auch nur für ein einziges Spiel. Voraussetzung ist allerdings, daß man eine irische Großmutter hat. Dann kann man sich nämlich laut Ahnengesetz der Fifa aussuchen, ob man für England oder Irland spielen will. Die Entscheidung ist jedoch endgültig: Hat ein Spieler erst einmal das Nationaltrikot eines Landes getragen — und sei es nur für ein paar Minuten —, kann er nie mehr für das andere Land eingesetzt werden.

Mangels Angebot an guten irischen Fußballern betrieb der englische Weltmeister von 1966, Jack „Giraffe“ Charlton, nach seiner Amtsübernahme als irischer Nationaltrainer zunächst einmal Ahnenforschung. Und er wurde fündig: Fast alle Fußballer, die zur Zeit für Irland spielen, sind in England geboren, darunter einige, auf die auch England-Trainer Graham Taylor ein Auge geworfen hatte. Charltons Schnüffelei in den Aktenschränken der Meldestellen ging ihm deshalb zusehends auf die Nerven, und er beschloß, Gleiches mit Gleichem zu vergelten: Ist ein halbwegs talentierter Spieler auffallend rothaarig oder besteht der Verdacht auf irische Vorfahren, setzt ihn Taylor flugs in seinem Team ein. Meist verschwindet der frischgebackene Nationalspieler danach wieder in der Versenkung.

Charlton ist freilich kein Deut besser, wie der Flügelstürmer von Portsmouth, Mark Kelly, erfahren mußte. Kaum war er 18 geworden, überredete ihn Charlton dazu, für Irland zu spielen. Seit seinem Debüt hat er jedoch nie wieder etwas von der Giraffe gehört. Bei den Brüdern Linighan ging das Wettrennen unentschieden aus: Andy entschied sich für England, sein Bruder David für Irland.

Im neuesten Streit geht es um den Abwehrspieler von Ipswich Town, Phil Whelan. Er hat seit Jahren betont, daß er gerne für Irland spielen würde, stieß damit bei Charlton aber auf taube Ohren. Erst als Taylor ihn nun in den U21-Kader für das Spiel am Mittwoch gegen Spanien berufen hat, wurden die Iren aufgeschreckt.

Schließlich ist die irische Verteidigung völlig überaltert und geht 1993 in Pension. So hat Charlton in Panik seinen Assistenten Maurice Setters zu Whelan geschickt, um ihm „die Tatsache nahezubringen, daß er niemals mehr für Irland in Frage kommt, wenn er für England spielt“. Sollte Whelan das entgangen sein? Setters: „Manchmal muß man Jungs in diesem Alter Dinge buchstabieren, bevor sie Entscheidungen von solcher Tragweite treffen.“ Vielleicht sollte Charlton sein Rekrutierungsfeld erweitern. Immerhin leben 70 Millionen Menschen irischer Abstammung in der ganzen Welt verstreut. Darunter müßten doch auch ein paar gute Fußballer zu finden sein. Ralf Sotscheck