Kroaten erpressen Moslems

■ Waffenlieferungen für bosnische Truppen abgefangen

Budapest (taz) — Der Vorschlag kam von den Kroaten: Da die bosnische Hauptstadt auf Dauer nicht mehr zu halten sei, solle man doch den Regierungssitz in die Kroatenhochburg Mostar verlegen, die Zivilbevölkerung Sarajevos evakuieren und danach eine Großoffensive gegen den serbischen Aggressor starten. Verbreitet wurde diese Nachricht am Montag vom „Freien Radio Herzeg“, dem Propagandasender des bosnischen Kroatenführers Mate Boban. Sein Kalkül: Die mehrheitlich muslimische Regierung unter Alija Izetbegovic werde aufgelöst und durch eine paritätisch besetzte kroatisch-muslimanische Regierung ersetzt. Damit hätten die Kroaten ihre Macht bedeutend ausgeweitet: In Bosnien stellen sie nur 18, die Muslimanen dagegen 44 Prozent der Einwohner.

Militärisch gesehen können die bosnischen Kroaten schon jetzt aus der Position der Stärke argumentieren. Während es den muslimischen Verbänden in Sarajevo seit Monaten nicht gelingt, den serbischen Belagerungsring zu durchbrechen, ist Mostar, die in der Herzegowina liegende zweitgrößte Stadt des Landes, seit Wochen „befreit“. Mehr noch: Fast die gesamte Herzegowina haben kroatische Verbände in den letzten Wochen von den Serben zurückerobert. Im „befreiten Gebiet“ normalisiert sich das Alltagsleben, während die Menschen in Sarajevo unter Hunger und Krankheiten leiden.

Der Kroatenführer Mate Boban prahlt nun mit diesen Erfolgen, verschweigt aber, daß seine „Kroatischen Verteidigungsverbände“ (HVO) militärisch massiv aus Zagreb unterstützt werden und illegale Waffentransporte, die für Sarajevo bestimmt sind, von seinen Leuten im Hinterland von Dubrovnik grundsätzlich abgefangen werden. Letzte Woche gab die UNO in Sarajevo außerdem erstmals zu, daß Bobans Verbände selbst für humanitäre Hilfstransporte, die über den Landweg von Split und Dubrovnik Richtung Zentralbosnien aufbrechen, „Wegzoll“ verlangen. Pro Lastwagen bis zu zweitausend Mark.

Die Verbitterung unter den Muslimanen über diese Politik der Kroaten ist verständlicherweise groß. Ob es aber auch zutrifft, daß Boban mit dem radikalen Serbenführer Radovan Karadzic einen Geheimbund abgeschlossen hat, der eine langfristige Teilung Bosniens vorsieht — die Herzegowina den Kroaten, Nord- und Westbosnien den Serben —, ist nicht eindeutig nachzuprüfen. Muslimische Politiker stellen diese Behauptungen zwar neuerdings in den Raum, konkrete Beweise legen sie aber keine vor.

Vor diesem Hintergrund sind auch die kroatisch-muslimanischen Schußwechsel im Sarajevoer Vorort Stup zu sehen. Gerüchten zufolge traf dort am Samstag eine neue Waffenlieferung ein, die sich die örtlichen Kroaten unter ihrem Kommandanten Velimir Maric aneignen wollten. Folge: Die Muslimanen nahmen kurzerhand einige der Maric-Leute als Geiseln, zerstörten deren Lager und zogen mit den Waffen ab. Maric stellte daraufhin ein Ultimatum an die Muslimanen, sollten sie Stup nicht räumen und die Waffen herausrücken, werde er sich auf die Seite der Serben stellen. Eine Drohung, die die Belgrader Kriegspropaganda sich nicht entgehen ließ: Berichtet wurde, daß kroatische Verbände den Verteidigungspakt mit den Muslimanen aufgekündigt hätten. Roland Hofwiler