piwik no script img

Zapzarap, Pickpocket, Langfingerei - das grüne Verbrechen

■ Vorsicht "Taschendiebe!"

Vorsicht „Taschendiebe!“

Köln (taz) — Fast 40 Jahre hat Alexander Adrion auf den Bühnen der Welt seine phänomenalen Fingerfertigkeiten bewiesen. Der heute 68jährige Kölner galt (und gilt noch) als der bekannteste Zauberer Deutschlands. Seine „Kammerspiele des Scheins“ waren Hochgenuß für alle Freunde der Magie und Gaukelei, der Täuschung und Verzauberung. „Herzen erwärmen“ war sein Leitspruch, mit Phantasie und Poesie, mit Träumen und Psychologie statt mit martialischen Shows wie andernorts üblich. Heinrich Böll nannte ihn einen „Retter seines Berufes“.

Jetzt widmet sich der Zauberei- Pensionär — im Buch — den Künsten von Kollegen und Kolleginnen. „Vorsicht Taschendiebe“ heißt das Opus, und es handelt von zahllosen Geschichten (meist) erfolgreichen Pickpocketings aus den letzten 200 Jahren. Ein amüsantes Buch, das nur diejenigen nicht zum Schmunzeln bringt, die vielleicht gerade ihrer Barschaften entledigt wurden. Berufsmagier Adrion liefert ein buntes Kaleidoskop der Branche ab, das sich wie ein Lexikon der flinken Griffe liest. Reichlich Sympathie für die Fingerakrobaten inbegriffen.

Opfer kann jedeR sein. Da ist der Polizeikommissar in der Pariser Metro, der justament bestohlen wurde, als er Kollegen darin einwies, Taschendiebe zu erkennen. Bisweilen gibt es lebensnahe Erlebnisse — etwa jenen Langfinger, der sein Diebesgut betrachtete, plötzlich wieder auf den Bestohlenen zustürmte und ihn zu verprügeln begann. Grund: In der Brieftasche hatte er nebst cash auch ein Bild der eigenen Frau gefunden — mit der Widmung „Dem feurigsten Liebhaber der Welt“. Prominenten traut jeder Dieb, weltnah wie er ist, besonders verlockende Barschaften zu. Dies erlebten Enrico Rastelli und Karl Valentin, Anton Bruckner wie auch jener amerikanische Politiker, der nach schmerzlichem Verlust folgende Anzeige im New York Herald schaltete: „Mir wurde eine Uhr im Wert von 100 Dollar gestohlen. Bringt der Dieb sie zurück, so wird er unentgeltlich darüber informiert, wo er eine doppelt so wertvolle Uhr stehlen kann. Fragen werden nicht gestellt. Abraham Lincoln.“ Ein Rothschild-Sproß, gerade Taschendieb-Opfer, wollte sich von einem Bekannten nicht bedauern lassen: „Lassen Sie ihn doch — wir haben alle mal klein angefangen.“

Adrion nennt den Taschendieb alter Schule sanft und behutsam, einen wahren „Meister des Einfühlungsvermögens“. Ein sozialer Mensch sei er, weil er für Umverteilung sorgt: „Nie würde er arme, alte oder behinderte Menschen bestehlen.“ Taschendiebe sind Künstler und Kunsthandwerker, die ihre Sinne vernetzt nutzen: „Man stiehlt mit Hirn und Auge, nicht mit den Fingern“, so laute die goldene Regel der Zunft. Der Klassiker unter den Langfingern arbeitet selbstbestimmt, entscheidet basisdemokratisch allein oder im Diebesteam, wer wen wann wie als Opfer ausguckt. Ausgesprochen human geht es zu, denn „der Taschendieb lebt vom Kontakt zum lebendigen Menschen.“ Adrion spricht ihm Würde zu, hohe psychologische Kenntnisse, und auch dies: „In seinem hochentwickeltem Standesethos steht die Gewaltlosigkeit an erster Stelle.“ Allesamt Punkte, die in einem grünen Parteiprogramm stehen könnten — wenn schon der Griff nach der Macht nicht klappt in Bonn, vielleicht wären subversive Tätigkeiten in den Wandelgängen des Wasserwerks eine Alternative.

Adrion beschreibt die Tricks mit offenkundiger Hochachtung und gibt dennoch Schutztips (Sicherheitsnadeln, Portemonnaie in die Vordertasche) für die entscheidende Zehntelsekunde der Praxis. Wenn es allerdings passiert ist, ist wenig zu machen: Die Aufklärungsquote liegt heute unter 0,5 Prozent, somit ist Taschendiebstahl fast ein perfektes Verbrechen. Er selbst, beteuert Adrion, sei noch nie Opfer der „Virtuosen ohne Beifall“ geworden.

Einen wie Adrion zu bestehlen — da müssen schon andere kommen. Etwa der C.H.Beck-Verlag. „Taschendiebe“ steht auf dem Fronttitel, und auf der Seitenkante der ersten ausgelieferten Exemplare — „Tascheniebe“. Eine Beck-Sprecherin beteuert hoch und heilig, hinter dem Verschwinden des „d“ stecke keine Marketingidee, es sei ein peinliches Versehen, man drucke gerade den Einband neu, und das koste immerhin etliches. Und Adrion — nein, der war es auch nicht. Sagt er. Bernd Müllender

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen