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: Keine Notschlachtung

■ "Die heilige Kuh", Di., 22.45 Uhr, W3

„Guten Tag, hier spricht der automatische Anrufbeantworter. Das Band wird innerhalb von drei Minuten abgehört.“ Seltsam! Wer weiß denn, daß der Besitzer tatsächlich in drei Minuten wieder zu Hause ist? Der Filmbericht des WDR-Magazins „Die heilige Kuh“ schneidet indessen auf einen Wagen mit einem „Unfallfotografen“, der sein Autotelefon abnimmt.

Ach so ist das! Der Mann ist Appendix einer Apparatur, die auf Band gespeicherte Anrufe direkt weiterleitet. Mit einer tragbaren Fernsehkamera im Kofferaum ist er so — systemgesteuert — stets zur rechten Zeit zur Stelle. Der rasende Reporter als pures Anhängsel eines Notruf- Bereitschaft-Systems.

„Die Privaten nehmen nichts ohne Leichen“, erklärt der Bildreporter. „Die Öffentlich-Rechtlichen wollen auch Leichen sehen, schneiden sie beim Senden aber raus. Am liebsten zeigen sie nur die Särge, die gerade abtransportiert werden. Was sich optisch gut umsetzen läßt, läßt sich gut verkaufen.“ Das heißt, wenn da Leichen liegen, muß das Licht gut sein. Eine Frage der Technik. Typisch Sensations-Berichterstattung über Sensationsberichterstattung. Über das Wesentliche, das Equipment nämlich, verliert keiner ein Wort.

Während genau diese Technik immer perfekter, ausgeklügelter wird, ein immer enger werdendes Netz ferngesteuerter Kamera-Terminatoren“ (Korrespondenten) mit immer lichtempfindlicheren und leichter bedienbaren Aufnahmegeräten Land und Welt überzieht, wettern dumpfe Moralisten über zunehmende Brutalisierung der Nachrichten. Für die Wertung hatte man einen sogenannten „Medienwissenschaftler“ engagiert. Gläsern-somnambul wanderten Professor Klaus Mertens' Pupillen von links nach rechts, als er seine hausbacken-moralinsauren Sprüche leiernd Wort für Wort vom Telepromter ablas.

Jeder in diesem Rundfunksystem — ob Kamerafrau oder Moderator — ist kein selbstverantwortliches Subjekte mehr, sondern funktioniert im Räderwerk gleichrangig mit jedem x-beliebigen Bauteil aus Japan. Interessant, daß solch eine Korrespondentenmaschine der ARD schließlich von der „Würde des Menschen“ redet, die sogar einem Toten zugesprochen werden soll. Während alles vor und hinter der Linse verdinglicht wird, reden TV-Macher plötzlich sehnsüchtig über die Seele des Toten: Metaphysik.

Diese „heilige Kuh“ der vermeintlichen Selbstverantwortlichkeit zu schlachten wäre wahrscheinlich zu blutig geworden. Die einzige, die dieser ganze Sensationskram nicht interessiert, sind jene medienanalphabetisierten Videokids, die sich aufmerksam die blutigen Hard- core-Splattermovies reinziehen. Manfred Riepe