UNO-Soldaten: Warten auf die Ablösung

Die Situation der UNO-Soldaten in Ex-Jugoslawien gleicht einem Balanceakt zwischen den Fronten/ Anwerbung von Blauhelmen als Söldner und das tägliche Geschäft mit Waffen gehören zum Alltag  ■ Aus Bijelo Brdo R. Hofwiler

Die Fahne hängt auf Halbmast. Man trauert um die beiden französischen UNO-Soldaten, die gestern in Sarajevo aus dem Hinterhalt erschossen wurden. Der Kommandant am Grenzposten „Zone Ost“ erklärt: „Das sind nicht die einzigen. Auch wir haben zwölf tote Kameraden zu beklagen — hier in Kroatien.“ Genosse Visanovow will erfahren haben, daß nicht nur zwei, sondern vier Blauhelme in den letzten 24 Stunden in Sarajevo ihr Leben ließen. Er ist sichtlich verbittert.

Geboren in Rußland, war er beim Afghanistanfeldzug dabei und schwor sich damals, nur noch für die UNO als Friedensstifter militärisch tätig zu sein. Jetzt sichert seine russische Kompanie die Gegend östlich der ostslawonischen Großstadt Osijek, die Dörfer um Bijelo Brdo. Aufgabenstellung: Kroatische und serbische Freischärler sollen auseinandergehalten, die „Zone Ost“ als neutrales Gebiet gesichert werden.

Auf den ersten Blick keine schwierige Aufgabe, wie Visanovow versichert. Die Kroaten seien alle vertrieben, Serben in die leerstehenden Wohnungen eingezogen, Zahlungsmittel ausschließlich der jugoslawische Dinar, Amtssprache serbisch. „Alles unter Belgrader Kontrolle“, konstatiert der Russe. Anders als er es erwartet habe, komme es nie zu kroatischen Terroraktionen, um das okkupierte Land zurückzuerobern. Auch der junge russische Berufssoldat Michail erzählt, er sei froh, daß sie ihn für den Dienst in Jugoslawien eingezogen hätten: „Hier findest du Ruhe, mehr als du brauchst.“

Bijelo Brdo wirkt denn auch wie ausgestorben. Lebten hier einst zweitausend Einwohner, Kroaten, Serben, Ungarn und Slowaken, sind es jetzt nur Serben, die ihre Häuser langsam wieder instandsetzen. Die meisten von ihnen fahren morgens per Sonderbus aus der nahegelegenen Vojvodina über die Donau in die „Zone“, wie sie sie nennen, bestellen Felder, reparieren zerbombte Häuser und fahren bei Dämmerung wieder zurück. Tag für Tag. Nur die Blauhelme und einige serbische Schieber bleiben auch über Nacht. Eine neueröffnete Kneipe gilt als Treffpunkt und Umschlagplatz für begehrte Waren. Die Russen verkaufen Zigaretten, Batterien, Medikamente und Benzin. Ein Geschäft, das den Sold des einfachen Soldaten beachtlich aufbessert. Denn bis zu neun Mark blättern die Serben zum Beispiel für einen Liter Diesel auf den Tisch.

Eigentlich seien solche „Kontakte“ nicht erlaubt, gibt der Kommandant zu. Andererseits könne er „seine Leute“ deswegen auch nicht einsperren. Zur Durchsetzung einer größeren Disziplin wäre, so Visanovow, eine Kasernenstruktur nötig und klare Aufgabenstellungen. All das sei in Bijelo Brdo aber nicht gegeben. Man schlage sich so eben durch und warte auf die Ablösung, „bevor es hier gefährlich wird“.

Woher die Gefahr drohe, will der alte Kommandant nicht preisgeben. Seine Untergebenen allerdings werden deutlicher: Schließlich werde nicht nur mit Diesel gehandelt. Waffen, Munition, Granaten, das seien doch die begehrten Güter. Ein Teufelskreis, wie Michail zugibt: „Verkaufst du den Serben einen Liter Diesel, kommen sie das nächste Mal und wollen Patronen von dir, später sogar eine Kalaschnikow.“ Ein Kamerad von ihm sei sogar soweit in die Enge getrieben worden, daß er sich letztendlich entschloß, als Söldner auf der serbischen Seite mitzukämpfen. Er gilt seitdem als vermißt.

Andere Soldaten erzählen, sie seien davon überzeugt, daß auch die UNO-Kommandanten korrumpiert seien. Durch beide Seiten. Ihre These: Kroaten wie Serben versuchten die UNO für ihre Zwecke einzuspannen. Wollten die Serben die „neutralen Zonen“ abgesichert sehen, so setzten die Kroaten auf Rückeroberung. Von den Blauhelm-Einheiten werde dann verlangt, feindliche Stellungen der anderen Seite preiszugeben, also logistische Vorarbeit für einen eventuellen Angriff zu leisten. Wer als Kommandant neutral bleibe, der komme durch beide Seiten unter Beschuß. Michail: „Anders kann ich mir nicht erklären, warum es immer wieder zu mysteriösen Todesfällen kommt.“