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Schlacht um St. Petersburg

■ Hamburgs stadtstaatliche Wirtschaftsförderung und die Handelskammer streiten um das Vorrecht auf Ostkolonisation

Schlacht um St. Petersburg

Hamburgs stadtstaatliche Wirtschaftsförderung und die Handelskammer streiten um das Vorrecht auf Ostkolonisation

Wer darf in St Petersburg die Ostexpansion des hansestädtischen Unternehmertums forcieren und russische Jungunternehmen nach Hamburg bugsieren - die stadtstaatliche Hamburgische Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (HWF) oder die Hamburger Handelskammer? In Hamburg ist heftiger Streit um die aktuelle Ostkolonisation entbrannt.

Die Kammer wirft der HWF vor, klammheimlich zum Hamburger Außenministerium zu mutieren. Bei der Schlacht um St. Petersburg geht es um die zielstrebige, vom Senat millionenschwer geförderte Expanison der HWF. In der Schrumpf-Town-Ära von Dohnanyi noch auf Wunsch der Kammer gegründet um den angeschlagenen Standort Hamburg zu verteidigen, hat die HwF in den lstzten Jahren ihr Aktivitätsfeld systematisch ausgedehnt.

So präsentierte HWF-Chef Klaus Müller gestern bei der Jahresbilanz 1991/1992 hochzufrieden die beeindruckende Liste von mittlerweile 13 „HWF-Repräsentanzen“ in Hongkong, Taiwan, Korea, Großbritannien, Dänemark, Schweden, Finnland, Lettland, Litauen, Rußland, der CSFR und dne USA. Trotz dieser weltweiten Expansion geriet die HWF im letzten Jahr allerdings in die Flaute. Das Geschäft mit den Neuansiedlungen sackte um ein gutes Drittel auf nur noch 64.

Bis auf die Wildwestzonen Chinas (freie Wirtschaftszonen) gibt es kaum noch Ansturem auf Hamburg: Japan ist in Rezessionsfurcht erstarrt, Skandinavien kränkelt, Osteuropa ist todkrank. Selbst der Start in den Europäischen Binnenmarkt am 1.1. 1993 verspricht keine Schubkraft mehr. Müller: „Die Neuansiedlung ist hier bereits weitgehend abgeschlossen.“

So rückte die Eroberung des osteuropäischen Wirtschaftsraums durch Hamburger Unternehmen ins Blickfeld auch der HWF, gilt es doch, die eigene Existenz dauerhaft zu sichern und auszubauen. Dabei gelang es es der HWF im Frühjahr 1992 beim Hamburger Senat 3,5 Millionen Mark für einen „Projekt- Auftrag Ost-Europa“ abzustauben. HWF-Jungs sondieren, von einer dreiköpfigen Combo in Hamburg gesteuert, die Zukunftsmärkte in St. Petersburg, Prag, Vilnius und Riga. Müller: „In St. Petersburg ist Pioniergeist gefragt. Den haben wir.“ Dieses Go east schmeckt der Handelskammer wenig, weil die HWF hier ihr angestammtes Areal verläßt und weit in die Zukunft gerichtete Hamburger Außenpolitik betreibt. Während die HWF der Kammer ideologische Scheuklappen vorwirft, kontert die Kammer mit dem Hinweis auf hanseatischen Staatsinterventionismus.

Der vorläufige Kompromiß in der Schlacht um St. Petersburg ruft bei neutralen Beobachtern freilich ein gewisses Schmunzeln hervor. Man habe sich, so Müller gestern, daraufd geeinigt, daß die Kammer die Gesamtinteresseen der Hamburger Wirtschaft in St. Petersburg vertreten dürfe, während sich die HWF um die einzelnen Unternehmen kümmere. Und als besonderes Bonbon, so Müller, darf sich die Petersburger Vertretung der Hamburger Handelskammer um die „zurückflutenden Soldaten der Roten Armee“ kümmern.

Florian Marten

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