Der Geschäftsmann erzählt

■ Pavel Kohout las aus seinem neusten Roman: Liebe, Stasi, Tod und Teufel

Da saß er, in Vegesack, hoch unterm hölzernen Dach des Lagerhauses, das sich dort das Kito zum Kulturzentrum ausgebaut hat: der erfolgreichste lebende tschechische Dramatiker und Romanschreiber, ZK-Präsidiale des für seinen schneidigen Missionarskommunismus bekannten Jugendverband in den 50er Jahren, Verfechter des Prager Frühlings Ende der 60er, Mitbegründer der Charta 77 Ende der 70er Jahre, wie Biermann in der DDR Ausgebürgerter 1979, Wiener mit österreichischem Paß 1980. Nach der „sanften Revolution“ 1989 wollte er nicht Mitarbeiter seines Freundes, des Dichterpräsidenten und Gründervaters der nachkommunistschen CSFR werden, sondern, inzwischen Östereicher tschechischer Herkunft mit zweitem Wohnsitz bei Prag, weiter manisch Tausende von Seiten erzählerische Prosa vollschreiben (1987: Wo der Hund begraben liegt, 532 Seiten, 1990: Ende der großen Ferien, 1992: Ich schneie, 382 Seiten).

Richtig, Sie hätten es in jedem Kreuzworträtsel richtig eingetragen, es ist Pavel Kohout, den Radio Bremen am Mittwochabend nach Vegesack gelockt hatte. Eingeleitet von Gerald Sammet, dessen Nichtvorbereitung hart ans Unhöfliche grenzte, las er in einem schweren, flüssigen Deutsch zwei Passagen aus seinem neusten Roman „Ich schneie“. Das ist ein Liebes- und Stasiroman, der 1990 in Prag spielt, ich-erzählt von Petra Marova, Anzeigenredakturin, Ende dreißig, großbusig, verfallen dem Viktor Kral, der, verheiratet, aus dem kanadischen Exil nach Prag zurückkehrt, und eines Nachts erfährt, daß er als geheimer Informant im Register der StB, der tschechoslovakischen Stasi, steht. Nicht den hausväterlich-freundlichen, gut erhaltenen Mitsechziger mit Silberhaar und Seidenjacke, den wir vor uns sahen, sollten wir also sprechen hören, bat uns der, sondern die pralle Enddreißigerin Petra Marova. Was, bei aller Liebe, Herr Kohout, schwer zu machen ist. Nicht, daß Frau Marovas Ex- und intensives Emotional- und Sexualleben uns nicht interessiert hätte. Wie hätte uns die gelesene Kostprobe kalt lassen können, in der sich Petra von der „Folterliebe“ (zum wiederaufgetauchten Viktor) „erlöste“, indem sie sich in der „Naivität der Verzweiflung“ in die „Hände eines Anfängers“ stürzt, der sich, als Es „schon ohne Vorwarnung passiert war“, „von kaltem Schweiß überströmt“ auch noch „stotternd entschuldigte“. Als der Vater des Überströmten sie in der Badewanne entdeckt, - „Blödmann!“ fauchte ich im Geiste“ — bemüht sie sich, „das Familienporzellen in Gestalt einer aufopferungsvollen Büßerin zu kitten“, obwohl sie „die Erkenntnis zerschmetterte“... Und immer so weiter.

Leider sind die Pferde des Erfolgs mit ihrem Liebling Kohout durchgegangen. Er schreibt zu schnell, er wird zu schnell übersetzt. Es passiert alles, was uns interessieren soll: Liebe, Stasi, Tod, Teufel und Vergewaltigung. Alles lebensprall, alles unverbissen in undankbare Täter-Opfer- Schemata, so wie wir Kohout aus seinen besseren Arbeiten kennen. Die Petra Marowa nehmen wir ihm dennoch nicht ab: Sie spricht eine scheußliche Sprache aus verquirlten Bildern, angestrengten Ironien, bombastischen Plattitüden, forciertem Slang und extremer Geschwätzigkeit. Das ist von jenem Reiz, der mich früher in den Bann der Fortsetzungsromane in der heimatlichen „Harke“ und der „Hör zu“, oder war es der „Stern“?, schlug.

Die zweite Leseprobe war, wie Kohoutin der Diskussion sagte, die authentische Erzählung von einem Juden aus der Slowakei, der den slowakischen Mörder seiner Familie stellt. Sie war weniger peinlich. Den Eindruck, daß Kohout aus der turbulenten Geschichte seines Landes zu hastig baggert, bestärkt auch sie. Ich riech die Absicht, das augenblickliche (westliche) Interesse an den Spionen und Greueln, die aus der Kälte kamen, locker mit wärmenden Geschichten abzuschöpfen und nur das und bin verstimmt. Dies Buch schrieb der Geschäftsmann Kohout, das nächste hoffentlich der Erzähler gleichen Namens.

Uta Stolle