Fast nichts ist viel...

■ Theaterproduktion Phädra mit Goldonis »Krach in Chiozza« in Neukölln

Nun endlich kann ich denn auch sagen, daß ich eine Komödie gesehen habe!« — Als Altmeister Goethe auf seiner Italienreise aus dem Mief Weimars unter anderem auch nach Venedig floh, war er ganz angetan von einer Art Theater, wie es an der heimatlichen Stilbühne wohl kaum möglich gewesen wäre: »Die Handelnden sind lauter Seeleute, Einwohner von Chioggia, und ihre Weiber, Schwestern und Töchter. Das gewöhnliche Geschrei dieser Leute im Guten und Bösen, ihre Händel, Heftigkeit, Gemütlichkeit, Plattheit, Witz, Humor und ungezwungene Manieren, alles ist brav nachgeahmt. Das Stück ist noch von Goldoni, und da ich gestern in jener Gegend war, und mir Stimmen und Betragen der See- und Hafenleute noch in Aug' und Ohr widerschien und widerklang, so machte es gar große Freude, und ob ich gleich manchen einzelnen Bezug nicht verstand, so konnte ich dem ganzen recht gut folgen.«

Volkstheater, zumal italienisches, fällt deutschem Auftreten alles andere als leicht. Ein exotischer Blick stellt sich ein und goutiert mit Distanz, was so ganz unmittelbar volksnah daherkommt. Auch im Saalbau Neukölln, wo die Gruppe Phädra ihren »Krach in Chiozza« zu Gehör bringt, geraten italienisches Feuer und deutsche Bedenklichkeit gebührend aneinander. Immerhin wird unter der Leitung von Ekkehard Pluta alles Erdenkliche getan, trotz der hölzernen deutschen Sprache, trotz eines träge dasitzenden Publikums (und auch gegen die akustischen Unzulänglichkeiten des ehemaligen Ballsaals), einen humorvollen Theaterabend aufzubieten. Das Ergebnis ist kein wirkliches (deutsches) Volkstheater, sondern — einmal mehr — eine gutbürgerliche, immerhin perfekte Unterhaltung.

Fünf klöppelnde Weiber auf einer weißen, weitgehend leergeräumten Bühne pflegen pfiffige Unterhaltung. Es bedarf nicht viel, um ihre Emotionen aufzuputschen und ihre Gefühle in Wallung zu bringen: Toffolo, der Kahnbesitzer, »Murmeltier« genannt, kommt des Weges und grüßt eine der munteren Damen ungebührlich freundlich und verfällt sofort der Unwichtigkeit — denn nun ist der scharf gespitzte Stachel der Eifersucht unter den Weibern gezückt, und Verdächtigung, Anklage und Verleumdung münden unversehens in Zank und ansehnliche Prügelei.

Was in der ersten Szene noch mühsam im Zaum gehalten wird, gerät später völlig außer Kontrolle und endet mit einem sich wild vermöbelnden weiblichen Menschenberg, der mit herzhafter Lust und ohne Angst vor blauen Flecken drauflosdrischt. Da das Stück ganz Komödie bleibt, endet es mit der unabwendlichen Hochzeit aller Paare, die sich noch nicht gefunden haben. Dazwischen gibt es unter anderem eine wunderbare Szene bei Gericht zu bestaunen, in der ein eitler, bestechlicher Gerichtsassistent (herrlich unterspielt von Jürgen F. Schmid) Protokoll aufnimmt und von den Weibern, die er nach und nach zum aufklärerischen Flirt vorlädt, gehörig angeschmiert wird.

Das personenstarke Ensemble der »Phädra« spielt, was das Zeug hält. Jede Figur hat einen, wenn auch nicht volkstümlich beglaubigten, so doch theatergerechten Ausdruck gefunden. Neben den krakeelenden Weibern (Marianne Kindermann, Danesch Delanoff, Mona Hermes, Renate Weyl und Natascha Walter) gelingt vor allem Ulrich Grawunder in der Rolle des Fischers Paron eine wunderbare Klamotte: Er spricht eine derart verstümmelte Sprache, daß sich immer nur erahnen läßt, was er gerade auszudrücken versucht, und das Publikum im Rätsel läßt, mit welchem Sammelsurium an Sprachfehlern der beschlagen ist.

Eine ganz in Andeutungen sich ergehende Komödie, die einen rasanten Ton anschlägt und im wirklich guten Zusammenspiel der Schauspieler vergessen läßt, daß es um nichts, um fast nichts geht. Das ist dann schon viel. baal

Nur heute, morgen und übermorgen, jeweils 20 Uhr, Karl-Marx- Straße 141