Verdammt gut aufgelegt

■ Vorrunde zur Memory Europameisterschaft/ Spaß und Psychoterror

Tiergarten. Auf die Plätze, fertig. Nein, jetzt kommt kein Schuß, und »los« wurde auch nicht durchs Stimmgewirr gebrüllt, sondern »Deck auf!« Und was sollten sie aufdecken? Zwei Kärtchen. Und dann wieder zudecken, und dann wieder... Halt! Jetzt kam der gegenüber an die Reihe. Und nun wieder aufdecken. Und nun wieder zudecken, und so weiter, und so weiter, und so weiter, bis zwei Kärtchen die gleichen Bilder aufweisen. Erinnern sie sich? Memory, dieses schreckliche Bilderlege- und Suchspiel, bei dem die Kinder uns Erwachsenen immer das Fell über die Ohren ziehen. Erinnert ihr Euch? Memory, dieses wunderbare Spiel, bei dem Ihr den Erwachsenen immer eine Nasenlänge voraus seid.

Nun gibt es ja für alles und jedes Meisterschaften. Olympische Disziplin ist es zwar noch nicht. Aber immerhin gab es beim Memory bisher regionale und deutsche Meisterschaften. In diesem Jahr werden sogar Europameisterschaften ausgespielt. Teilnehmen kann daran jeder Mensch, der Lust dazu hat, egal ob jung oder alt.

Eine Tafel Schokolade als Trostpreis für Verlierer

Dieser Tage trafen sich etwa 300 Memoryfans in einem Seitenflügel des Kurfürstendamm-Karrees, um das Berliner Regionalturnier im Rahmen der Europameisterschaft auszuspielen. 200 Kinder wollten wissen, ob sie den Erwachsenen beim Spielen wirklich um Nasenlängen voraus sind.

Gespielt wurde im KO-System. 16 Paarungen pro Vorrundengruppe. Wer seine Partie verlor, flog raus. Ein Vorrundensieger mußte fünf Partien gewinnen, um am Finaltag noch dabei zu sein. Das erfordert schon eine hohe Konzentrationsfähigkeit. Als Entschädigung für die Verlierer gab es eine Tafel Schokolade oder einen Luftballon mit dezenter Werbung des Sponsors der Veranstaltung, dem Spielehersteller Otto Maier Ravensburg. Diese Regelung galt jedenfalls für die Erwachsenen unter den Vorrunden- Teilnehmern.

Die Kinder, die verloren hatten, konnten sich an den beiden Vorrundentagen einfach erneut anmelden und tauchten wie eine vielköpfige Hydra immer wieder im Turnier auf.

Im Endeffekt hatten die Kinder trotzdem keine Chance. Auf die Dauer sind sie in ihrer Konzentrationsfähigkeit geübten Erwachsenen doch unterlegen. Und sie nehmen es zum Glück auch mehr als Spiel und Spaß. Da wird mal locker zum Kumpel am Nachbartisch gewunken und gefragt: »Wieviel Pärchen hast du denn?«, da werden neugierig die Neuankömmlinge betrachtet, oder da wird einfach ein wenig vor sich hingeträumt.

Dazu kommt, daß es in der Bundesrepublik eine Memorygemeinde gibt, die regelmäßig Turniere spielt, die Ranglisten führt, die dieses ganze Turnier für die Ravensburger entwickelt hat, und die sich natürlich eine solche Chance, eine Fahrt zur großen Spielemesse nach Essen zu gewinnen, nicht entgehen läßt. Trotzdem befand sich unter den letzen acht noch der zwölfjährige Mike Burow, der gegen die sieben Aufrechten von der »Gesellschaft der Freunde des Memory-Spiels« — darunter auch die amtierende deutsche Meisterin Martina Münchenberg — antrat.

In den Klamotten versteckte Karten

Trotz Psychoterrors seiner Freunde, die die Kleidung seines Gegenübers nach versteckten Kartenpärchen durchsuchten; trotz subtiler Gesprächsführung wie »Bist du schwul?« und trotz permanenter Belästigung durch eine Pressefotografin, die auf dem Tisch stehend von oben fotografierend beide Spieler animierte, doch einfach mal ein par Bildchen fürs Foto umzudrehen, konnte er jedoch gegen einen bundesdeutschen Spitzenspieler wie Sebastian Schnitzer nichts ausrichten. Aber am Ende konnte auch Sebastian Schnitzer sich nicht durchsetzen.

Durch Kids und Presserummel zermürbt, mußte er sich im Halbfinale geschlagen geben. Siegerin des Turniers wurde Paticia Reitz, die ihrem Endspielgegener Rainer Husel zwar nicht die Butter vom Brot, dafür aber die Kärtchen vom Tisch nahm.

Damit ist aber der Zug zu den Deutschen und den Europameisterschaften für die Verlierer noch längst nicht abgefahren.

Da jeder sich zu jedem Regionalturnier anmelden kann und noch die Turniere in München, Dresden, Hamburg, Stuttgart und Essen ausstehen, werden einige Memoryversessene ihre Qualifikation für die deutschen Titelkämpfe im Oktober in Essen schon noch erreichen. Peter Huth