Hartungstraße goes Spielbudenplatz

■ Erste Premiere in den neuen Kammerspielen: Die zotige Wirtshausoper Heimatlos erfüllte alle Erwartungen

: Die zotige Wirtshausoper Heimatlos erfüllte alle Erwartungen

Drall, feist, zünftig und gnadenlos hatte man es erwartet und genauso war es gekommen. Heimatlos, die „Wirtshausoper in einem Rausch“, mit der Stephan Barbarino seine neuen Kammerspiele eröffnete, schlug dort ins Kontor, wo schlechter Geschmack die Unterhaltung adelt. Derbe Zoten in steirischer Mundart mit norddeutschem Akzent lieferten die fruchtbaren Stellen, um die herum sich die aufgeregte Handlung wand, immer auf der Flucht vor etwas Niveau.

Doch beginnen wir von vorne, denn mit vielleicht noch größerer Spannung als die erste Premiere des arg gebeutelten Selfmade-Mannes Barbarino erwartete das Publikum den gespielten Werbespot der Firma West. Dieser hatte im Vorwege fast soviel Diskussionsstoff geliefert wie der Kalte Krieg zwischen den beiden ehemaligen Gesellschaftern Thomas Friese und Stephan Barbarino - und erstaunlicherweise ging der Einfall nichts ins Auge.

Der aus der Plakatreklame bekannte Marsmensch trat mit verwunderten Blicken vor den Vorhang, kurz darauf folgte Johannes Silberschneider und bot ihm das karzinogene Genußmittel der Firma an, die als Gegenleistung für diesen wenige Minuten langen Sketch einen Teil der Produktionkosten finanzierte. Das Publikum goutierte es.

Darauf folgte der Auftritt des musikalischen Leiters Hans-Jörn Brandenburg, der unter Mithilfe seiner im Publikum verteilten Musiker einen Saalchor animierte, der aber schnell an dem zu komplizierten Aufbau des Gesangstückes scheiterte. Dann ging's gleich in die Vollen.

Unter überdimensionierten Fliegenfängern und einer ausladenden Schießscheibe, auf der statt Eichenlaub riesige Brüste, Penis und Vagina prangten, sowie vor dem Fuß eines monströsen Kruzifixes nahm die Wirtshaustragödie ihren Anfang. Ein Erzähler (Karljürgen Rost) begann mit der Vorstellung der anwesenden österreichischen Archetypen: dem netten Arbeitslosen Erhard (Johannes Silberschneider), dem Kreuzwirt Seppl (Matthias Scheuring) und der „prallbusigen“ Kellnerin Maria (Barbara de Koy), um deren Gunst sich alles drehen sollte, denn: Alle Männer wollen Maria. Der bierbäuchige Seppl hinter seiner zwei Meter hohen Theke, in deren Kühlvitrine echte Fliegen schwirren, ebenso, wie der gerade Entlassene Erhard und der Alpen-Parvenü Hubert (Dominique Horwitz). Diesen aber, der zur Mitte des Stückes aus einer Luke auftaucht, liebt die ordinäre Bedienung, deren vierjähriger „Säugling“ des öfteren durch die Kulisse schreit, retour.

Nach einigen Erniedrigungen für Erhard durch Maria, Seppl und Hubert, Sprecharien über die Einsamkeit und die Nudelsuppe, und dem eifersüchtigen Auftritt der Todesjodlerin Friedi (Anna Riedl) endet Heimatlos in einem großen Gemetzel, bei dem eimerweise Blut über die Bühne schwappt, und einem Walzer.

Wer bei dieser krachledernen Gaudi an zwei wohlbekannte Boulevard-Theater am Spielbudenplatz denkt, die mit einer derartigen Theatermasche schon länger erfolgreich sind, begeht sicherlich keinen Geschmacksverstoß. Mehr als Schmidts und Tivoli in ihren glanzvollen Momenten an schriller Unterhaltung bieten, liefert aber die Wirtshausoper von Reinhard Gruber und Anton Prestele in keinem Fall. Soll sie ja wahrscheinlich auch nicht. Wem's gefällt... Till Briegleb