Bildertheater, Bann und Bush

■ Premiere: „Terra Felicita“ mit dem argentinischen Regisseur Norberto Presta

Es ist Magie mit im Spiel. Das liegt mit am Ort. Die Veranstaltungshalle, die da im Gebäudekomplex der Oldenburger Kulturetage neu entstanden ist, ist eine verkleinerte Melange aus Zirkuszelt und Berliner Philharmonie. Rings um die „Manege“, ansteigend auf Terrassen aus schönem Holz, sitzen die Zuschauer, sehen das Bühnengeschehen in ihrer Mitten und das Publikum gegenüber als Teil des Geschehens.

Auch das Stück, das uraufgeführt wurde, Terra Felicita, hatte eine Magie an sich, vor allem am Anfang. Durch die Gänge zwischen den Zuschauern singen und reden sie sich zur Mitte hin, bleiben stehen, wo die Bühne Manege ist, fremd und doch verbunden, der Muselmann, der Jude, der Christ. Sie fallen sich gegenseitig ins Wort, der Jude dem Muselman ins türkische, der Christ dem Juden ins jiddische mit dem lateinischen, in das zu fallen sich aber schon niemand recht traut. Jude und Muselman erzählen Schlitzohriges, Witziges, zwei Frauen dolmetschen für das Publikum, nur der Christ bleibt hoheitlich unverständlich in seinem lateinischen Ritus. Man hört die multikulturelle Nachtigall trapsen, aber erst ganz leis.

Terra Felicita ist die Geschichte von Cristobal Colons Eroberung des irdischen Paradieses, im Auftrag Isabellas von Kastilien und Ferdinands von Aragon, die zur gleichen Zeit, 1492, mit Granada die letzte mohammedanische Bastion dem Christentum zurückerobert und die Juden aus Spanien vertreiben.

Die fünf Spieler des freien Ensembles der Kulturetage entwickeln das Stück in dem Stil, den sie mit ihrem argentinischen Regisseur Norberto Presta seit 1986 in drei Produktionen zur Geschichte der BRD entwickelt haben. Es ist ein Theater aus lebenden Bildern, ohne Handlung, mit leitmotivisch eingesetzten Objekten und einem Reigen typisierter Figuren: Der kindliche Paradiessucher Cristobal (Uwe Bergeest), die schöne Jüdin Beatriz (Tina Harms), seiner Geliebten, die gierige Isabel von Kastilien (Andrea Nahrstedt) und ihr bigott beschränkter Fernando von Aragon (Ralf Selmer), Tomas (Uwe Petersen), der Colons Idee des irdischen Paradieses in den Feuern der Inquisition realisiert („Im Wesen der kämpfenden Wahrheit ist kein Platz für Liebe“).

Der Ort, „die Manege“, kommt dem Bildertheater entgegen. Er gliedert es in Nummern, er entzieht den Spielern mit jeglicher Wand auch „Hinten“ und „Vorne“ und verlangt, daß die eingestreuten Textbrocken (von Peter Weiss bis Neruda) ins Publikum rundum gesprochen werden. Er legt die Bewegung im Kreis nah, er liebt das Vorzeigen des Unerhörten, wie der Flugmaschinen nach Leonardo, die Kalle Krause gebaut hat. Letzterer erhob sich auf seinen Wunderwerken aus stolperndem Kriechgang zum beflügelten Fabelwesen empor, das Publikum applaudierte auf offener Szene. Am Ende der Entwicklung und des Stücks musizieren Kalle Krauses selbstgebaute Roboter mit Köpfen aus Tierschädeln auf der leeren Bühne, sehr toll, auch wenn man die eingebaute Technikkritik nicht teilt! Die Hauptrolle spielt aber ein zweirädriges Wunderding, das zwischen Lyra, Kanone und Henkerskarren den Spielern zu jeglicher Verwandlung dient.

Die Oldenburger sind ehrgeizig. Das „Gesamtkunstwerk“ wollen sie. In der Dokumentation zur Geschichte der Kulturetage bescheinigen sie sich selber vorneweg mit diesem Stück „den Sprung in eine neue Dimension“, und: „Der Schritt von einer eher provinziellen Theatertruppe in die Reihe der großen europäischen freien Theater ist getan.“ Da ist was dran, diese „Terra Felicita“ hat bannende Momente. Sie zeigt aber auch die Schwächen der Gruppe. Die Flut lebender Bilder hat Reiz und Bann, aber keine Entwicklung. Der Reiz flacht ab, das Ende versickert. Da hilft auch — es mußte ja kommen — die Verwandlung des fremdenvernichtenden christlichen Königs in Uncle Sam nicht, der in Bush-Amerikanisch die neue Weltordnung verkündet. Im Gegenteil: Sie zeigt die Gefahr, sich auf stimmungsvolle Bebilderung einer abendlandskritischen Geschichtsphilosophie zu reduzieren. Die unschlagbare Stärke dieser Philosophie besteht in ihrer Diffusität, ihr Reiz in der Verklärung der Multikulturen. Beides immunisiert gegen plötzliche Realitätseinbrüche. Uta Stolle

Nächste Aufführungen: Sa.+So., 20.30 Uhr, Bahnhofstr. 11