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Ost-Abgeordnete organisieren sich

■ Parlamentarier des Bündnis 90 laden zum ersten Treffen aller Abgeordneten aus dem Ostteil der Stadt am Mittwoch ein/ Skepsis bei SPD und CDU/ Pulz: »Ost-Interessen kommen nicht zum Durchbruch«

Berlin. Mitten im Herzen der alten Bundesrepublik, bei einer Rheintour, stellten sich die beiden Abgeordneten vom Bündnis 90/Grüne Christian Pulz und Anette Detering die politische Seinsfrage. In welcher Situation, so räsonierten die beiden Ostler, befinden wir uns in diesem Land? Die Standortbestimmung fiel trübe aus. Nachdem sie eineinhalb Jahre lang in Deutschlands einzigem gemischten Landesparlament die westliche Demokratie hautnah erfahren hatten, kamen sie zu dem Schluß, daß »Ost-Interessen nicht zum Durchbruch kommen«. Daran hindert sie nicht nur, so Pulz' Beobachtung, die »strukturelle Dominanz der Westler«, sondern ihre hausgemachte, über vierzig DDR-Jahre entwickelte Lebensstrategie. Beides ergänzt sich füglich. Wo Pulz bei den eigenen Landsleuten Zurückhaltung, Vorsicht und Geduld als vorherrschende Eigenschaft ausmacht, entdeckt er beim westlichen Pendant eine »Medien- und Kampfgesellschaft«, in der es möglichst gleich zur Sache geht. Vorläufiges Fazit der beiden Bürgerbewegten: Der Wessi beherrscht nach wie vor die parlamentarische Bühne, gut achtzig Prozent der Reden und Diskussionsbeiträge werden von ihm gehalten. Kaum waren sie von ihrer Rheintour zurück, überlegten sich Pulz und Detering »eine parlamentarische Form, wo Ost-Interessen auf fruchtbaren Boden fallen«. Die Idee eines »Ausschusses für Ost-Angelegenheiten« wurde geboren. Dieses Gremium soll bei »spezifischen Ost-Problemen« ein Mitspracherecht erhalten. Die Themen reichen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis Treuhand. Wie beim Frauenausschuß soll auch beim »Ost-Ausschuß« bei allen sie betreffenden Fragen die Mitsprache der Betroffenen gewährleistet sein. Die beiden Abgeordneten haben zu einem Treffen aller Ost-Parlamentarier am Mittwoch geladen. Die Zusammenkunft wäre ein Novum in der Geschichte des Schöneberger Rathauses.

Zwar hat es in den jeweiligen Fraktionen bereits Ostlertreffen gegeben, doch zu einer parteiübergreifenden Zusammenkunft konnten sich die Neuabgeordneten bislang noch nicht durchringen. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, der Ost-Abgeordnete Helmut Fechner, bezweifelt den Sinn einer solchen Veranstaltung. Über die Phase, sich als Ostler gegenseitig Hilfestellung zu geben, sei man schließlich hinweg, die Ost-Abgeordneten, so seine kühne These, stünden gegenüber ihren Westkollegen inzwischen gleichgewichtig. Er verweist auf die günstige Zusammensetzung seiner Fraktion. Dort herrsche Parität, bei der Verteilung der Redezeiten werde nur nach Fachgesichtspunkten entschieden. Doch treffen sich auch die Ost-Abgeordneten der SPD zu eigenen Runden.

Auch bei der CDU versammelt sich der Osten manchmal alleine, Grund zum Meinungsaustausch gibt es genug. Denn das politische Klima, weiß die parlamentarische Geschäftsführerin Greiner, ist im Ost- West-Spannungsverhältnis rauher. Die Verdrossenheit sei bei der eigenen Klientel größer, weil auch die Erwartungshaltung größer gewesen sei. Als Ost-Abgeordnete bewegt sich Frau Greiner im Parlament auf einem dünnen Seil. Ihr Drahtseilakt besteht nach ihrer Erfahrung darin, für den Osten mehr machen zu müssen, ohne dabei gegenüber den Westkollegen den Eindruck aufkommen zu lassen, es handele sich um Almosenempfänger. Man müsse die Probleme aus dem Osten aufnehmen und die Westler dafür sensibilisieren.

Die Sensibilität hat ihre Grenze allerdings, wo Autonomie droht. Einen eigenen Ost-Ausschuß, so hat der Fraktionsvorstand der CDU bereits beschlossen, werde es nicht geben. Das schaffe, so glaubt Fraktionssprecher Markus Kaufmann, nur einen neuen Separatismus. Greiner hält ebensowenig von einem solchen Instrumentarium wie ihr SPD-Kollege Fechner. Fechner befürchtet monatelange Verzögerungen von Entscheidungen, wenn alle Ost-Anliegen zusätzlich diesen Ausschuß passieren müßten.

Bei allem Gerede von östlicher Befindlichkeit, die Gemeinsamkeit hat ihre Grenzen und die setzt im parlamentarischen Betrieb die Partei. Auch in einem Ost-Ausschuß, da ist sich Fechner sicher, würde nach Fraktionen abgestimmt werden. Gleichwohl überlegen Ost-Parlamentarier sowohl der CDU als auch der SPD, zum ersten Treffen aller Ostler zu kommen. In der SPD-Fraktion wird darüber noch in einer eigenen Ost-Runde beraten, Ost-CDUler werden auf jeden Fall hingehen, schon, so Greiner, um den eigenen Standpunkt zu der Versammlung darzutun. Dieter Rulff

(Siehe Kommentar Seite 17)

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