KOMMENTAR
: Ausschuß für Befindlichkeit

■ Die Schwierigkeit der Ost-Abgeordneten mit sich selbst

Der Vorschlag kommt anderthalb Jahre zu spät. Zu Beginn der Legislaturperiode hätte die Einrichtung eines »Ausschusses für Ost-Angelegenheiten« dokumentiert, daß auch das Berliner Abgeordnetenhaus in der Lage ist, veränderten Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Er hätte den Bürgern im Ostteil signalisiert, daß sie nicht nur eingemeindet wurden, sondern daß ihre Sondersituation auch eine entsprechende Berücksichtigung im parlamentarischen Raum hat. In diesem Ausschuß hätte sich die Debatte der wesentlichen Probleme, die mit der Angleichung der Lebensverhältnisse verbunden sind, fokussieren lassen. Zum jetzigen Zeitpunkt eingerichtet, käme ein solcher Ausschuß dem Eingeständnis einer fehlgeschlagenen Integrationspolitik gleich. Ein eigener Ausschuß von Anfang an wäre den Abgeordneten aus den östlichen Bezirken eine ideale Möglichkeit gewesen, den aufrechten Gang auf dem glatten parlamentarischen Parkett zu praktizieren.

Statt dessen sind sie sicherheitshalber gleich in die Knie gegangen und haben sich vorsichtig tastend in den parlamentarischen Betrieb hineinbewegt. Kaum einer ist dabei auf die Schnauze gefallen, doch kaum einer ist dabei, der herausragt. Als vorläufiges Resultat läßt sich festhalten, daß die Ost-Abgeordneten integriert sind. Die Angleichung wurde individuell vollzogen, und diesen mühsam erreichten, diesen Drei-Viertel-West-Standard will keiner mehr hergeben. Deshalb muß nun ein eigenes parlamentarisches Gremium wie eine pädagogische Krücke erscheinen für all jene vermeintlichen Unzulänglichkeiten, die mit dem sattsam bekannten Begriff der Befindlichkeit umschrieben werden, jenem verquasten Wortungetüm, daß, halb Befinden halb Empfindlichkeit, Frage und Antwort in einem ist und bislang zu Recht keinen Eingang in den Duden gefunden hat.

Auch wenn sie zu spät kommt: Man muß die Idee eines »Ausschusses für Ost-Angelegenheiten« trotzdem gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, damit würde dem Gedanken des Zusammenwachsens widersprochen und erneut separiert. Die Einheit erreicht man nicht, indem man das Trennende verschweigt. Dieter Rulff

(Siehe Bericht auf Seite 18)