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Ein Opfer

■ Mit der Entlassung Sellachs hat die symbolische Politik Hessens Grüne eingeholt

Ein Opfer Mit der Entlassung Sellachs hat die symbolische Politik Hessens Grüne eingeholt

Als ein Akt politischer Schizophrenie wird die Entlassung der Staatssekretärin im hessischen Familienministerium, Brigitte Sellach, in die Geschichte der Partei Die Grünen eingehen — und als Beleg dafür, daß sich auch die bislang als „etwas andere Partei“ apostrophierten Grünen, den etablierten Altparteien entsprechend, von der Politik der Problemlösung verabschiedet und der Politik der Symbole zugewendet haben.

Als Akt politischer Schizophrenie muß die Entlassung von Sellach deshalb gewertet werden, weil damit nicht eine der gerade von den Grünen benannten Ursachen für die Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen in Hessen gelöst wird. Seit Monaten kontern die Grünen in Hessen die Forderung der Union nach einem Rücktritt der angeblich „völlig überforderten“ Familienministerin Iris Blaul damit, die Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen seien auf die Blockadehaltung der Bundesregierung bei der Bearbeitung der Asylanträge und auf das Verhalten der Bürgermeister und Landräte bei der Einhaltung der Aufnahmequoten zurückzuführen. Die politische Konsequenz der Landesregierung und der sie tragenden Parteien aus diesen „Erkenntnissen“: Anstatt von Wiesbaden aus den Druck auf Bonn zu verschärfen oder die sich im Vorfeld der Kommunalwahlen in Hessen an „Volkes Stimme“ orientierenden Kommunalpolitiker im Rahmen der Kommunalaufsicht an die Kandare zu nehmen, wird einfach eine Spitzenbeamtin geschaßt.

Damit diskreditieren die Grünen in Hessen nicht nur eine altgediente Politikerin aus den eigenen Reihen, sondern auch die eigene politische Linie. Völker hört die (neuen) Signale: Sellach raus — und Seiters und die SPD-Bürgermeister und Landräte aus der direkten Schußlinie. Schließlich schleichen in Bonn Sozial- und Christdemokraten auf leisen Sohlen aufeinander zu. Und der für die Kommunalaufsicht zuständige SPD-Innenminister Günther hatte offenbar keine Lust, sich im Vorfeld der Kommunalwahlen mit seinen Parteifreunden in den Rathäusern und Landratsämtern herumzuschlagen. Brigitte Sellach ist deshalb (auch) ein Opfer der Koalitionsräson.

Die Grünen haben Brigitte Sellach mit geschaßt, obgleich der Ex-Staatssekretärin — wie versichert wird — keinerlei Vorwürfe zu machen seien. Die „Handlungsfähigkeit der Landesregierung“ sollte demonstriert werden, sagte Joschka Fischer nach der entscheidenden Kabinettssitzung. „Handeln“ — reduziert auf einen symbolischen Akt. Für wie dumm halten ParteipolitikerInnen eigentlich ihre WählerInnen? Klaus-Peter Klingelschmitt

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