Rache für Belagerung der Stadt Gorazde

■ Serbische Flüchtlinge von Moslems niedergemetzelt

Rogatica (AP) - Verkohlte Skelette, verwesende Körper und ausgeglühte Autowracks liegen in der Schlucht bei Gorazde. Sie zeugen von der blutigen Rache, die Moslems an Serben nahmen. Serbische Zivilisten hatten aus Gorazde fliehen wollen, nachdem serbische Truppen den Belagerungsring um die Stadt am 26. August gelockert hatten.

Die Kolonne mit rund 3.000 Serben, meist Frauen und Kindern, war einen Tag später losgefahren. In der Schlucht von Gnjila, etwa 18 Kilometer nördlich von Gorazde, gerieten sie in den Hinterhalt der ehemaligen Verteidiger der Moslemstadt. Augenzeugen berichteten, mindestens 50 Menschen seien in dem wütenden Dauerfeuer getötet worden, in dem Körper förmlich zerschnitten worden seien.

Die Zahl der Verletzten kennt niemand. Viele hätten sich in Panik die Felsen hinabgestürzt. Wie viele ihre schreienden Familien in den brenndenden Autos zurückließen und wie viele bei Rettungsversuchen einfach niedergemäht wurden, weiß auch niemand.

Niemand hat die Beweise für das Massaker in der Schlucht beseitigt. Kein Flüchtling traut sich in die Nähe, weil die Angreifer noch da sein könnten. Verwilderte Hunde nagen an den Knochen. Einige Leichen sind mit Dieselöl übergossen, um den Gestank zu mildern.

Die Bevölkerung von Gorazde bestand vor dem Krieg zu 70 Prozent aus Moslems. Nach der Flucht der Serben ging deren Viertel am Südostufer der Drina in Flammen auf, nachdem es zuvor geplündert worden war. Die Wut der vier Monate eingeschlossenen Moslems machte nicht vor der orthodoxen Kirche und auch nicht vor allen anderen Gemeinschaftseinrichtungen des Serbenviertels halt.

Die Lockerung der serbischen Belagerung fand während des Londoner Auftaktes zur internationalen Jugoslawien-Konferenz statt, an der alle Kriegsparteien teilgenommen hatten. Aber für die möglicherweise als Zeichen des guten Willens gedachte Geste des bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic haben örtliche serbische Kommandeure und die Flüchtlinge jetzt nur noch Verachtung übrig. Sie nennen Karadzic einen Verräter. Der Kommandeur der serbischen Belagerungstruppen, Dusan Kornjaca, meint: „Die Moslems haben eine Friedensgeste mißbraucht. Kann sein, daß wir zum Gegenangriff übergehen und ihnen das Land vor der Stadt wieder abnehmen müssen.“ Während er das sagt, dröhnt aus Richtung Gorazde Kanonendonner herüber. Lastwagen mit Haubitzen im Schlepp rumpeln vorüber.