Die Welle der Gewalt reißt nicht ab

■ Zwei kleine Kinder wurden bei einem Brandanschlag in Baden-Württemberg verletzt/ Ausschreitungen vor Asylunterkünften vor allem im Osten Deutschlands/ Über 100 Festnahmen

Frankfurt/Berlin (taz/AFP) — Zwei Kinder im Alter von vier und sechs Jahren mußten nach einem Anschlag auf ein Flüchtlingsheim in Hemsbach in Baden-Württemberg am Sonnabend mit schweren Brandverletzungen in eine Mannheimer Klinik eingeliefert werden. Wie ein Polizeisprecher erklärte, haben die Täter gegen 2.30 Uhr einen Molotowcocktail gegen ein Fenster des Wohnheims geschleudert. Zwar sei der Brandsatz am Fester abgeglitten, doch sei durch eine zerbrochene Scheibe eine geringe Menge der brennenden Flüssigkeit in das Zimmer gelangt, in dem die beiden Kinder aus dem ehemaligen Jugoslawien schliefen. Die Eltern blieben unverletzt. Eine eingeleitete Großfahndung verlief bislang ergebnislos. Die beiden Kinder sollen noch immer in stationärer Behandlung, „aber außer Lebensgefahr“ sein.

Drei Wochen nach Beginn der jüngsten ausländerfeindlichen Unruhen sind am Wochenende insgesamt mindestens 20 Asylbewerberheime angegriffen worden. Drei Teilnehmer einer Mahnwache wurden vor dem Asylbewerberheim in Quedlinburg durch Steinwürfe von rechtsgerichteten Jugendlichen verletzt, vier weitere Personen erlitten dort bei Zusammenstößen zwischen rechten Jugendlichen und linken Gegendemonstranten Verletzungen. Bei Ausschreitungen in ganz Ostdeutschland nahm die Polizei am Wochenende insgesamt rund 100 Personen fest.

Allein in Brandenburg wurden in der Nacht zu Sonntag zehn Asylbewerberheime angegriffen. In Stahnsdorf, wo bereits am Vorabend 30 rechtsgerichtete Störer randaliert hatten, versammelten sich nach Angaben der Polizei rund 50 mit Schlagstöcken und Funkgeräten ausgerüstete junge Männer vor einem Heim und riefen ausländerfeindliche Parolen. Die eintreffende Polizei wurde sofort massiv angegriffen. Sie nahm neun Personen vorläufig fest. In Prenzlau zündete bei einem Angriff auf ein Asylbewerberheim ein Brandsatz, der jedoch gelöscht werden konnte. Die Polizei nahm zwei mutmaßliche Täter fest. Weitere Asylbewerberheime wurden in Lychen, Boizenburg, Gölsdorf, Hohenseefeld, Lauchhammer-Süd, Fetschau, Cottbus und Frankfurt/ Oder von kleineren Gruppen angegriffen, die meist die Fenster einwarfen und anschließend flüchteten. In Quedlinburg verlief eine Demonstration von rund 300 angereisten Jugendlichen gegen Ausländerfeindlichkeit am Samstag abend relativ friedlich. Die Polizei nahm bei Vorfeldkontrollen und am Rande des Protestmarsches 20 Personen wegen Vermummung und unerlaubten Waffenbesitzes fest. Am Vorabend hatten rechtsradikale Jugendliche in Quedlinburg eine Mahnwache von Grünen und Bürgerbewegung, die sich schützend vor das Wohnheim gestellt hatte, mit Steinen und Feuerwerkskörpern angegriffen und dabei drei Personen verletzt. Die Gewalttäter agierten aus einer Menge von etwa 300 Schaulustigen heraus. 41 mutmaßliche Angreifer, gegen die im Schutz der Menge jedoch keine Beweise erhoben werden konnten, wurden vorläufig festgenommen. Im sächsischen Dippoldiswalde drangen in der Nacht zu Sonntag 20 Jugendliche gewaltsam in eine Asylunterkunft ein. Die neun anwesenden Asylbewerber flüchteten sich in den nahegelegenen Wald, während die Angreifer die Türscheiben ihrer Zimmer zertrümmerten und sich dann vor der anrückenden Polizei zurückzogen. Die Polizei nahm zwölf Personen fest. In Zeitheim konnte ein größeres Polizeiaufgebot rund 40 vermummte Jugendliche an einem geplanten Angriff auf ein Asylbewerberheim hindern. In Zittau und Stolberg wurden von unbekannten Tätern die Fensterscheiben der dortigen Asylheime eingeworfen. Auch in Thüringen wurden erneut Asylbewerberheime in Geisa und Ellrich angegriffen. In Gerstungen wurden in der Nacht zu Samstag zwei Tatverdächtige nach einem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim festgenommen. In Arnstadt wurden am frühen Sonntag 13 rechtsradikale Jugendliche nach einem Überfall auf einen linken Jugendklub festgenommen.

In Rhens bei Koblenz verwüsteten Unbekannte am Wochenende einen jüdischen Friedhof. Über die Hälfte der 35 historischen Gräber, die außerhalb der Gemeindegrenze in einem Waldstück liegen, wurden geschändet, der Zaun und das Tor zum Friedfhofsgelände zerstört. Der SPD-Ortsverein, der die Gräber in Absprache mit der jüdischen Gemeinde pflegt, hat für Hinweise zur Aufklärung eine Belohnung von 1.000 DM ausgesetzt.