Bundesbank lockert die Zinszügel

■ Unmittelbar nach der Abwertung der italienischen Lira durch den EG-Währungsausschuß hat die Bundesbank nachgezogen: Auf ihrer gestrigen Sondersitzung beschloß der Zentralbankrat, ihre Hochzinspolitik zu...

Bundesbank lockert die Zinszügel Unmittelbar nach der Abwertung der italienischen Lira durch den EG-Währungsausschuß hat die Bundesbank nachgezogen: Auf ihrer gestrigen Sondersitzung beschloß der Zentralbankrat, ihre Hochzinspolitik zu lockern und erstmals seit 1987 die Leitzinsen zu senken.

Guiliano Amato hatte sich so viel vorgenommen. Bis zuletzt hatte der italienische Regierungschef mit einem wahren Gruselkatalog bis hin zu Notstandsgesetzen versucht, eine Abwertung der Lira zu verhindern — vergeblich. Durch die in der letzten Woche eingetretene Spekulationskrise im Europäischen Währungssystem (EWS) unter Druck geraten, gab der EG- Währungsausschuß nach seiner Sitzung am Sonntag in Brüssel bekannt, die seit langem überbewertete italienische Währung um 3,5 Prozent abzuwerten und gleichzeitig die anderen EWS-Währungen um den selben Prozentsatz anzuheben. Und während sich in Italien noch Katzenjammer über die neuerliche finanzpolitische Niederlage breitmachte, löste der EWS-Beschluß eine regelrechte Zinslawine aus. Die Deutsche Bundesbank läutete eine geldpolitische Kehrtwende ein: Erstmals seit mehr als vier Jahren lockerten die eisernen Währungshüter vom Main ihre Geldpolitik und senkten die Leitzinsen um einen halben Prozentpunkt.

Der Zentralbankrat beschloß auf seiner gestrigen Sondersitzung, den Diskontsatz von 8,75 auf 8,25 Prozent und den Lombardsatz von 9,75 auf 9,50 Prozent zurückzunehmen. Außerdem will die Bundesbank den Geldmarktsatz von derzeit etwa 9,7 Prozent auf 9,2 Prozent zurückschrauben. Andere europäische Staaten zogen prompt nach: die Schweiz, Österreich, Belgien, die Niederlande und Schweden senkten als erste ebenfalls ihre Leitzinsen. Auch in Frankreich und den USA wurde die deutsche Zinssenkung als positives Signal aufgenommen. Die deutsche Hochzinspolitik war in den vergangenen Monaten für die schleppende Konjunktur in Europa verantwortlich gemacht worden. Die internationalen Aktienmärkte reagierten auf das deutsche Signal mit einem wahren Kursfeuerwerk. Vor allem für die Tokioter Börse kam die frohe Botschaft aus Frankfurt gerade rechtzeitig: der Nikkei-Aktienindex, der am Freitag rund 800 Punkte verloren hatte, machte gestern die Hälfte seiner Verluste wieder wett. Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger begründete die Maßnahme mit dem Hinweis, erst die durch die EWS-Anpassung erreichte Abwertung der Lira um sieben Prozent habe den Schritt möglich gemacht. Ausführlich begründete Schlesinger die am Sonntag abend in Brüssel überraschend angekündigte Zinssenkung mit dem drastischen Kursverfall der italienischen Lira. Dieser habe die Bundesbank zu den höchsten Stützungskäufen ihrer Geschichte gezwungen. Die deutsche Zentralbank hatte etwa 24 Milliarden Mark in den Markt geworfen, um die Lira, wie der EWS-Vertrag es vorschreibt, vor einem Absinken unter ihren tiefsten zulässigen Wechselkurs gegenüber der Mark zu bewahren — mehr als jemals zuvor in einer Spekulationskrise. Der Notenbankchef betonte, sein Haus habe die Bundesregierung um das Realignment (Anpassung) im EWS gebeten. „Wir haben uns als stärkste Währung im EWS nicht mehr in der Lage gesehen, unsere Geldpolitik fortzuführen“, so Schlesinger. Sein Stellvertreter Hans Tietmeyer wertete die Leitzinssenkung als „begrenztes Signal“, das insbesondere dazu beitrage, die Handlungsfähigkeit des Europäischen Währungssystems zu bewahren. Im EWS-Realignment wollte Tietmeyer „überhaupt kein Dementi gegen Maastricht“ sehen, nach dessen EG- Verträgen eine von der Politik unabhängige Europäische Zentralbank angestrebt wird.

Schlesinger erwartet von der Lockerung der Geldpolitik eine weitere Dämpfung des Preisauftriebs, da bei Importgütern mit weiter sinkenden Preisen zu rechnen sei. Der Beschluß sei dem Zentralbankrat „natürlich nicht leichtgefallen“. In der Zinssenkung sieht der oberste Banker auch eine „Vorleistung für die Lohn- und Finanzpolitik“: Die Bundesbank habe signalisiert, daß sie angesichts der schwierigen Situation „zum gemeinsamen Handeln“ bereit sei. Auf die bundesdeutsche Konjunktur, machten die Währungshüter jedoch klar, werde sich die Leitzinssenkung jedoch nur graduell auswirken. Doch gerade auf ein solches Signal hatten Politiker aller Couleur in Bonn von den D-Mark-Hütern seit längerem gewartet, um die Konjunktur wieder anzukurbeln.

Die Stimmmung zwischen der Bundesregierung und den Bundesbankern war im Juli auf einem Tiefpunkt angelangt, nachdem die Geldwächter die Leitzinsen in den letzten vier Jahren von 3,0 Prozent (Diskont) und 4,5 Prozent (Lombard) zuletzt auf einen absoluten Rekordstand getrieben haben. Nun kann sich die Regierung freuen: Laut Finanzminister Theo Waigel (CSU) werden mit der Zinssenkung die Voraussetzungen für eine Verstärkung des Wirtschaftswachstums geschaffen; Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) sprach von einem „Signal zur Überwindung der Wachstumsschwäche“. Auch die SPD und der DGB werteten den Zinsbeschluß als einen längst überfälligen Schritt. Erwin Single