Wir sehen's und wir traun uns nichts

■ Die „Creativen Chaoten“ mit ihrem neuen Schultheater-Stück gegen Ausländerfeindlichkeit / Collage mit Szenen, Tanz, Songs

Ein erstaunlich ausgefeiltes Stück zum schwierigen und oft überbehandelten Thema „Ausländerfeindlichkeit“ haben „Die Creativen Chaoten“, SchülerInnen vom Schulzentrum Lange Reihe produziert: Heute ist Premiere. Alles hat die Theatergruppe selbst gemacht von vorn bis hinten: Texte, Bühne, alle Songs, Licht, Choreografie. Drei Lehrerinnen haben sich engagiert, aber sie legen Wert darauf, daß dies ein SchülerInnen-Stück ist, keins für den künstlerischen Vorzeige-Ehrgeiz einer Spielleiterin. Und das merkt man der Produktion auch erfreulich deutlich an.

Übrigens ist ganz nebenbei auch zu sehen, wie SchülerInnen sich offensichtlich eine attraktive Darbietung vorstellen: sie gehen mitten ins Publikum, sie fassen die ZuschauerInnen an, sie bauen eine Collage aus schnellen, kurzen Einzelstücken, sie wechseln zwischen Tanz, Sprache, Szene, Song, sie flüstern, schweigen, singen, schreien. Sie sind lebendig.

Die Gefahr des „positiven Rassismus“, des Schemas „Guter Ausländer, böse Deutsche“, war allen während der Produktion bewußt, nicht immer wurde sie sicher umschifft. Ziehen deutsche Schüler in Bremen tatsächlich und typischerweise wortlos die ausgestreckte Hand zurück (und nicht nur die Brauen hoch), wenn einer von ihnen seine neue und überraschend türkische Freundin vorstellt? Gelungenes Gegenbeispiel: die Verfremdung der zunächst unweigerlich mitreißenden Rockmusik, wenn Skinheads auftreten. Sämtliche Musik übrigens haben die SchülerInnen ganz ohne Lehrerhilfe komponiert und präsentiert: alle Achtung.

Verblüffend, mit wie wenig Ausstattung, Kostüm und Bühnenbild man auskommen kann, wenn man Einfälle hat. Ein diagonaler Mittelgang schrägquer durchs Publikum und zwei kleine Bühnen in der Ecke sind überlegt eingesetzt, auch dies ein Ergebnis kollektiver Debattten. Die zwei Seiten desselben vertrackten Problems können so gleichzeitig sichtbar werden: Wenn Mehmet und Sahrah verliebt im Mittelgang tanzen, ziehen rechts die türkischen Eltern über die „deutsche Nutte“ her, links die deutschen über „den Ausländer“. Oder wenn auf den beiden Bühnen aus derselben Zeitung vorgelesen wird: Anschläge auf Asylunterkünfte da, Drogendealerei dort. Das Stück ist da am besten, wo gedanklicher Raum bleibt, offene Fragen statt guter Moral.

Gestern, in der Pause und nach der Generalprobe, sagten ausländische und deutsche MitschülerInnen aus dem Publikum: Ja, genauso ist es. Zum Beispiel die Szene in der Straßenbahn, wie eine Türkin geärgert wird und die anderen Nägel kauen, Zeitung lesen, weggucken. Genau so was kenn ich, sagte eine junge Türkin. Sowas sehen wir manchmal und trauen uns nichts, sagte eine deutsche Schülerin.

Daß das Publikum über die Türkenwitze auch erstmal lachen mußte, sollten die Creativen Chaoten ruhig ertragen: Die Szene geht ja weiter. Angucken! S.P.

Am 16., 18., 28.9.; Schule Lange Reihe, Innenhof, Raum H10, Eintritt 7,- / 4,- Mark