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„Am liebsten wäre ich weg gelaufen“

■ Aus dem Alltag der „Zeugenbetreuung“ gegen die Angst vor der Aussage

„Ich war voller Panik und hatte Riesenangst vor der Gerichtsverhandlung. Am liebsten wäre ich weggelaufen. Ohne die Zeugenbetreuung hätte ich das Verfahren vielleicht nicht überstanden.“ Eine junge Frau, Anfang zwanzig, sitzt im Zeugenbetreuungszimmer des Bremerhavener Amtsgerichts. Sie ist Opfer einer Vergewaltigung durch zwei Männer aus ihrem ehemaligen Bekanntenkreis. Noch immer spricht aus ihren Worten und aus ihrem Blick die Angst vor dem schrecklichen Erlebnis, das ihr Leben veränderte.

In der Zeit nach der Tat konnte sie das Geschehen verdrängen und versuchen, zur Normalität des Alltags zurückzukehren. Je näher aber der Termin der Gerichtsverhandlung rückte, um so deutlicher wurde die Erinnerung und wuchs die Furcht vor einem Wiedersehen mit den beiden Tätern. Die junge Frau wandte sich an die Kriminalpolizei. Dort verwies man sie an die Beratungsstelle der Bremer Hilfe für Opfer und Zeugen von Straftaten, die seit einem Jahr in Bremerhaven das Zeugenbetreuungszimmer im Amtsgericht hat. Die Zeugenbetreuung beim Landgericht Bremen ist seit Anfang September wieder besetzt.

Der Schwerpunkt der Zeugenbetreuung sind Strafprozesse bei Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung: „Vielfach wollen die Leute nur in Ruhe gelassen werden. Ich spreche sie dann auch nicht an.“ Unter die Haut ging Monica Renken der Fall von zwei 12-und 13jährigen Geschwistern: „Die saßen in der Spielecke, redeten nicht viel und gaben sich völlig cool. Als sie von der Zeugenvernehmung kamen, waren sie völlig aufgelöst und verwirrt.“ In solchen Fällen, oder auch bei Sorgerechtsentscheidungen, kommt der Richter schon einmal in das Zeugenbetreuungszimmer: „Der zieht dann vorher die Robe aus, spielt mit ihnen und macht das ganz locker. Das ist für alle leichter.“ Die Sozialpädagogin muß sich auch um Zeugen kümmern, die plötzlich nicht mehr aussagen wollen: „Da braucht man dann einige Überredungskunst.“ Gelegentlich suchen auch die Zeugen zweier gegnerischer Parteien das Zimmer auf. Monica Renken: „Man spürt, daß es knistert, aber die Leute ignorieren sich. Die wollen auch nur ihre Ruhe haben.“

Grundlage für die Arbeit ist viel Lebenserfahrung: „Man ist jeden Tag menschlich gefordert. Viele Faktoren spielen da eine Rolle. Die Menschen, die zu mir kommen, sind oft völlig unsicher. Innerhalb eines Jahres hat sich die Zahl der Besuche verdreifacht. Aber selbst wenn es nur wenige wären - diese Institution muß es geben.“ Monica Renken ärgert sich manchmal darüber, daß keiner nach der Verhandlung kommt und sich für die Betreuung bedankt: „Ich bin dann immer etwas enttäuscht. Aber ich kann auch verstehen, daß die Leute einfach weg wollen.“ Lutz G. Wetzel

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