Thyssen-Chefs zünden Nebelkerzen

■ Im Bochumer Prozeß gegen Manager des renommierten deutschen Konzerns, die im Verdacht stehen, dem Irak wissentlich Turbopumpen für den Nachbau von Scud B-Raketen geliefert zu haben, sind die Beweise...

Chefs zünden Nebelkerzen Im Bochumer Prozeß gegen Manager des renommierten deutschen Konzerns, die im Verdacht stehen, dem Irak wissentlich Turbopumpen für den Nachbau von Scud B-Raketen geliefert zu haben, sind die Beweise erdrückend.

VON WALTER JACOBS

Irgendwann wird es Richter Hajo Regul zu bunt: „Herr Lottmann, warum machen Sie so etwas. Ich glaube Ihnen nicht. Ich habe den Eindruck, daß Sie möglicherweise Zwängen unterliegen.“ Was damit gemeint ist, verstehen im Verhandlungssaal der Bochumer Wirtschaftsstrafkammer alle Anwesenden — auch der Zeuge. Leise, für die Zuhörer kaum wahrnehmbar, weist der 53jährige Jürgen Lottmann den Verdacht zurück: „Ich habe keine Angst um meinen Arbeitsplatz.“

Daran darf man gewiß Zweifel haben. Jürgen Lottmann ist Geschäftsführer der Thyssen-Maschinenbau GmbH in Witten. Ihm gegenüber, auf der Anklagebank, sitzt der Mann, dem Lottmann seinen Aufstieg verdankt: Ulrich Berntzen, aktives Vorstandsmitglied der Thyssen-Industrie AG. Bevor Lottmann durch eine „Querbeförderung“ in seiner neuen Position landete, diente er unter Berntzen als Controlling- Chef. Vor dem Bochumer Gericht muß Berntzen sich jetzt für die 1988 abgeschlossene und Anfang 1990 vollzogene Lieferung von 35 Turbopumpen an den Irak verantworten. Mitangeklagt sind der frühere Geschäftsführer der Maschinenbau GmbH, Uwe Kirchner, und der ehemalige Verkaufsleiter der Firma, Peter Pawlitzki. Es geht bei der Zeugenbefragung um eine Geschäftsführersitzung vom 29. 8. 89, bei der neben den drei Angeklagten auch Lottmann als Protokollant anwesend war.

Gedächtnisschwund und ein verschleiertes Sitzungsprotokoll

Dieser Zusammenkunft kommt im Prozeß um die Pumpen, die der Irak für den Nachbau von Scud-B-Raketen vorgesehen hatte, eine entscheidende Bedeutung zu. Uwe Kirchner behauptet, daß er während dieser Sitzung den Ausstieg aus dem Pumpengeschäft mit dem Irak beantragt habe. Der Grund: Seit Anbahnung des Geschäftes habe sich sein schon bei Vertragsabschluß gehegter Verdacht erhärtet, daß die Pumpen — anders als vom Irak behauptet — nicht im zivilen, sondern im militärischen Bereich eingesetzt werden sollten. Berntzen habe den Ausstiegsantrag jedoch vom Tisch gefegt. Während der Mitangeklagte Ex-Verkaufsleiter Pawlitzki diese Darstellung bestätigt, weist Vorstandsmitglied Berntzen die Schilderung als „schlicht falsch“ zurück. Einen solchen Antrag habe es nie gegeben. Davon stehe auch nichts im Sitzungsprotokoll.

Das stimmt, doch bewiesen ist damit nichts, denn im Protokoll fehlt jeder Hinweis auf einen brisanten Vermerk, den Kirchner und Pawlitzki nach einer Irak-Reise im August 1989 angefertigt und den Sitzungsteilnehmern vorgelegt hatten. Sie seien in „ein militärisches Sperrgebiet“ etwa 25 km von Bagdad entfernt gebracht worden, heißt es da. Und es sei davon auszugehen, daß „alle Fabrikanlagen“ auf dem Gelände „der Produktion militärischer Produkte dienen“. Das Fazit der beiden: „Es ist nicht auszuschließen, daß die von uns zu liefernden Pumpen eine militärische Verwendung finden.“

Vorstandsmitglied Ulrich Berntzen reagierte prompt. Noch während der Sitzung ließ er den Vermerk einsammeln, und Pawlitzki wurde damit beauftragt, die Exemplare zu vernichten. Doch der behielt „zu meiner eigenen Absicherung“ eine Kopie, die er später dem Staatsanwalt rausrückte. In dem „verschleierten Sitzungsprotokoll“, so der souverän agierende Gerichtsvorsitzende Hajo Regul, finde sich über den ganzen Vorgang kein Wort. Warum nicht?

Das habe er getan, um, so räumt Protokollant Lottmann nach vielen Nachfragen ein, „den Vermerk nicht aktenkundig zu machen“. Hat er auch den Ausstiegsantrag von Kirchner unterdrückt? An dieser Stelle setzt das Gedächtnis von Lottmann aus. An den Antrag „kann ich mich nicht erinnern“. Ob dieser Gedächtnisschwund, der auch den damals anwesenden Thyssen-Justitiar Michael Kuptz exakt bei derselben Frage ereilt, den amtierenden Vorstandsmanager Berntzen helfen wird, steht dahin.

Die Prozeßstrategie von Berntzen und dem obersten Thyssen-Boß Heinz Kriwet läuft daraus hinaus, die Verantwortung für den Pumpendeal den beiden geschaßten GmbH-Managern Kirchner und Pawlitzki anzuhängen. Als eine Verfehlung von zwei gefallenen unteren Chargen, die nichts mit der Geschäftspolitik des Thyssen-Konzerns selbst zu tun hatte. Berntzen beharrt darauf, daß ihm „nicht deutlich geworden“ sei, daß die Turbopumpe „militärischen Charakter hatte“. Das zu erkennen, sei möglicherweise den Technikern Kirchner und Pawlitzki möglich gewesen — ihm als als „gelernten Sozialwissenschaftler“ aber nicht. Warum ließ er dann den Vermerk vernichten, der über die endgültige Bestimmung der Pumpen kaum Zweifel zuließ? Er habe befürchtet, daß der Name Thyssen bei Bekanntwerden des Papiers „durch die Gazetten gezogen“ werden könnte, antwortet Berntzen.

Diese Furcht vor Berichten über harmlose Pumpen klingt ebensowenig plausibel wie Berntzens Bemühen, die Entscheidungskompetenz seines Mitangeklagten Kirchner zu überhöhen. Kirchner habe das Projekt jederzeit eigenverantwortlich stoppen können. „Warum ist er nicht zu meinen Kollegen gegangen“, fragt Berntzen treuherzig und bringt damit die Zuschauer im Saal gegen sich auf. Die Antwort, die Kirchners Anwalt gibt: „Dann wäre er doch erledigt gewesen“, haben alle auf der Zunge. Manchmal, wenn Berntzen spontan reagiert und seine Verteidigungsstrategie für Sekunden vergißt, offenbart er selbst die tatsächliche Rangordnung. Dann war zum Beispiel ein Lieferkonzept, das ihm nicht paßte, bei der Besprechung mit Kirchner „nach einer Minute vom Tisch“ — so schnell vom Tisch wie der Vermerk, dessen Vernichtung er anordnete. Dagegen, daß Kirchner und Pawlitzki es gewagt haben könnten, ausgerechnet diesen Macher über das Irak-Projekt „dumm sterben zu lassen“, wie Staatsanwalt Bernd Bieniossek es ausdrückte, sprechen Akten ebenso wie das Verhalten im Gerichtssaal.

Die von Berntzen vor Gericht suggerierte Zwei-Täter-Theorie paßt indes schön zusammen mit der Version, die der Thronherr im Thyssen- Konzern, Heinz Kriwet, der FAZ in zwei Sätzen verriet: Das Pumpengeschäft sei Ende der achtziger Jahre von zwei Mitarbeitern auf den Weg gebracht worden, „als es zu den guten Taten gehörte, dem Irak zu helfen. Allerdings wußten die beiden vermutlich genau, daß die Pumpen entgegen den Vertragsvereinbarungen für Raketen bestimmt waren. Beide haben mittlerweile unsere Firma verlassen“.

Berntzen, der ranghöchste der drei Angeklagten und immer noch amtierender Vorstandsmanager, der das Geschäft mit dem Irak immer wieder forciert hat, wird von Kriwet schlicht unterschlagen. Warum? Fürchtet da jemand, daß es zur Erörterung der Frage kommen könnte, wer es war, der Berntzen antrieb? Soviel ist jedenfalls klar, das Geschäft mit den Pumpen für die irakischen Scud B wurde so nachdrücklich gefördert, weil man glaubte, nur so die „nicht besonders rosige“ (Pawlitzki) Geschäftslage im Thyssen-Pumpenbereich verbessern zu können. Der erinnerungsschwache, zum Geschäftsführer aufgestiegene Lottmann hat den erwarteten Profit in Zahlen ausgedrückt: „Die mögliche Gewinnspanne lag bei 30 bis 40 Prozent.“

Schon bei der Anbahnung des Geschäfts Anfang 1988 kam den Thyssen-Managern die von den Irakern behauptete Verwendung in der Petrochemie spanisch vor. In einem Vermerk vom April 1988 hält der Thyssen-Ingenieur Köhler fest, daß die Konstruktionsmerkmale der Pumpe nur eine sinnvolle Verwendung zulassen: als „Raketen-Triebwerk“. Beim Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn lassen sich die Thyssen-Manager im Schnellprüfungsverfahren eine sogenannte Negativbescheinigung ausstellen, die ihnen schwarz auf weiß bescheinigt, daß eine Ausfuhrgenehmigung nicht erforderlich ist. Von ihrem Verdacht in Richtung „Raketen-Triebwerk“ teilen sie dem Eschborner Amt nichts mit. So gehen die Pumpen für die „Petrochemie“ dann bis Mitte 1990 mit amtlichem Okay über die Grenzen.

Weiterarbeit trotz Bedenken „aus Gewissensgründen“

In der Wittener Thyssen-Niederlassung wird unterdessen über die militärische Ausrichtung des Auftrages mehr oder weniger offen diskutiert. So offen jedenfalls, daß Geschäftsführer Kirchner den leitenden Ingenieuren wegen „der weiter bestehenden Bedenken“ die Mitarbeit „aus Gewissensgründen“ freistellt. Während ein Ingenieur daraufhin endgültig aussteigt, entschließt sich der technische Betriebsleiter nach einem vorrübergehenden Rückzug zur endgültigen Mitarbeit.

Daß die beteiligten Thyssen-Manager zu diesem Zeitpunkt schon sehr genaue Vorstellungen über den Endverbleib ihrer Pumpen hatten, zeigt ihre aufgeregte Reaktion auf eine Stern-Geschichte vom 25. 8. 1988. In dem Artikel wird von einem versuchten Bombenanschlag auf einen deutschen Diplomingenieur in Frankreich berichtet, zu dem sich eine islamische Gruppe bekannt hatte. Dem Ingenieur wurde der Vorwurf gemacht, während des Krieges zwischen Irak und Iran (1980-88) Raketen in den Irak zur Bombardierung Teherans geliefert zu haben. Für den Fall, so ein Drohanruf, daß „Sie Ihre Geschäfte mit dem irakischen Präsidenten nicht einstellen, werden Sie und Ihre Familie exekutiert“.

Keine Reue über Vertuschung des tödlichen Geschäfts

Mit diesem Artikel sei der Thyssen- Justitiar Kuptz „ganz aufgelöst“ bei ihm erschienen, erinnert sich der Angeklagte Kirchner vor Gericht. Es habe auf der Managementebene darüber zunächst aufgeregte Diskussionen gegeben, aber gefolgt sei daraus nichts.

Gegenüber den Behörden schwieg man unterdessen eisern weiter — bis zum bitteren Ende. Erst nachdem die Oberfinanzdirektion Mitte des Jahres 1990 bei Thyssen einrückte und alle Irak-Geschäfte überprüfte, flog der Schwindel auf. Von Einsicht, von Bedauern, von Reue gar über das Vertuschungsmanöver des tödlichen Geschäfts ist beim immer noch diensttuenden Manager Berntzen auch heute noch nichts zu spüren. Im Gegenteil, derjenige, der alles getan hat, um den Tiefschlaf der Behörden nur ja nicht zu stören, greift die amtlichen Kontrolleure jetzt naßforsch an. „Wenn Sie anständig gearbeitet hätten“, so Berntzen an die Adresse eines Beamten aus dem Bundesamt für Wirtschaft, „säße ich hier nicht auf der Anklagebank.“