Nordirland-Gespräche vor Abbruch

Eine politische Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht/ Papiere aus Dublin und London lösen Wirbel aus/ Protestantische Unionisten wittern Schritte zur Vereinigung/ Alles oder nichts  ■ Aus Belfast Ralf Sotscheck

Eine politische Lösung des Nordirland-Konflikts liegt so fern wie eh und je. Während Ende vergangenen Monats das 3000. Opfer des nunmehr fast 25 Jahre dauernden Krieges begraben wurde, stehen die Mehrparteiengespräche kurz vor dem Scheitern. Die protestantischen Unionisten, die für die Union Nordirlands mit England eintreten, haben mit dem Abbruch der Verhandlungen gedroht, nachdem geheime Positionspapiere sowohl der britischen als auch der irischen Regierung an die Presse lanciert worden sind. Die Unionisten werfen London „schweren Verrat“ vor, da in dem britischen Regierungspapier die Rede von „verstärkten Bindungen zwischen Nordirland und der Republik Irland“ ist. So soll Dublin ein Regierungsbüro in Belfast erhalten, die nordirische Verwaltung ein Büro in Dublin.

Doch die Vorschläge gehen noch weiter: Die britische Regierung will nach EG-Vorbild bestimmte Institutionen einrichten, in denen beide Teile Irlands vertreten sind. Diese Institutionen sollen Entscheidungsgewalt in Finanz- und Sicherheitsfragen haben und später auch andere Bereiche umfassen. James Molyneaux und Pfarrer Ian Paisley, die Vorsitzenden der beiden unionistischen Parteien, haben nach Angaben von Parteikollegen „vor Wut geschäumt“. Sie befürchten, daß die Umsetzung der britischen Vorschläge ein Riesenschritt in Richtung auf ein vereintes Irland wäre. Beide Parteien erklärten, das Papier sei „politisch völlig bedeutungslos“, da die Unionisten keinen Vorschlag auch nur in Erwägung ziehen würden, der die Union mit Großbritannien in Frage stelle. Die Londoner Regierung versuchte, den Schaden zu begrenzen: Man habe mit dem Geheimpapier lediglich die Diskussion in Gang setzen wollen, erklärte Nordirland-Minister Patrick Mayhew.

Das ist gründlich schiefgegangen. Paisley und sein Verhandlungsteam von der „Democratic Unionist Party“ (DUP) blieben den gestern wiederaufgenommenen Gesprächen fern. Ein DUP-Sprecher sagte, seine Partei bezweifle, daß die britische Regierung ein Papier vorlege, dessem Inhalt sie angeblich nicht zustimme. Paisley wollte zunächst an den Verhandlungstisch zurückkehren, wenn Artikel 2 und 3 der irischen Verfassung — in denen Irland Anspruch auf Nordirland erhebt — auf der Tagesordnung stehen. Das wird am Montag der Fall sein, wenn der „runde Tisch“ von Belfast nach Dublin umzieht. Nachdem jedoch vorgestern ein weiteres „Geheimpapier“ — diesmal aus Dublin — der Presse zugespielt wurde, fordert Paisley nun eine formelle Zusage der irischen Regierung, daß die „widerwärtigen, unmoralischen, illegalen und kriminellen“ Verfassungsparagraphen gestrichen werden. Das ist nur durch ein Referendum möglich. Aus dem Papier geht hervor, daß die irische Regierung dazu bereit ist — allerdings nur dann, wenn man den WählerInnen die Sache durch Gegenleistungen schmackhaft machen könne. Diese Gegenleistungen sind eben die im britischen Papier enthaltenen Vorschläge. Ein Ausweg aus dem Teufelskreis ist nicht in Sicht. Der irische Premierminister Albert Reynolds sagte gestern: „Wir stimmen in nichts überein, bis wir nicht in allem übereinstimmen.“

Selbst Optimisten rechnen nicht mit einem positiven Ausgang des irischen „Alles oder nichts“. Bereits im vergangenen Jahr verlief der erste Versuch der Mehrparteiengespräche im Sande. Und auch Phase eins des neuerlichen Anlaufs in diesem Jahr, bei der es um die Beziehungen der nordirischen Parteien untereinander ging, mußte ergebnislos abgebrochen werden. Doch selbst eine überaus unwahrscheinliche Einigung hätte kaum Konsequenzen: Die paramilitärischen Organisationen beider Seiten sowie ihre politischen Flügel sind vom runden Tisch verbannt, solange sie der Gewalt nicht ein für allemal entsagen. Doch dafür gibt es keine Anzeichen — im Gegenteil: Zwar macht der Konflikt längst keine Schlagzeilen im Ausland mehr, doch die Zahl der Opfer ist seit dem vergangenem Jahr wieder fast so hoch wie zu den schlimmsten Zeiten Mitte der siebziger Jahre.

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