KGB Hauptthema im Wahlkampfendspurt

■ Präsidentschaftswahlen in Estland am kommenden Sonntag/ Fernsehauftritt der vier KandidatInnen

Oslo (taz) — Mit einem gemeinsamen Fernsehauftritt der vier KandidatInnen ist am Dienstag abend in Estland der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen am Sonntag in die Schlußphase gegangen. Nicht Politik stand dabei im Vordergrund, sondern die Persönlichkeiten der drei männlichen Bewerber und der einzigen Frau in der Runde, Lagle Parek. Sie, Vertreterin der nationalistischen Selbständigkeitspartei und mit blütenweißer Weste, was die Vergangenheit angeht — sie saß zu Zeiten der Sowjetmacht als Dissidentin im Gefängnis —, hat gleichzeitig die geringsten Chancen für den Posten. Auch dem 59jährigen Auslands- Esten Rein Taagepera, Professor aus Kalifornien, werden nur Außenseiterchancen eingeräumt. Kopf an Kopf liegen nach den letzten Meinungsumfragen die beiden anderen Kandidaten: Arnold Rüütel und Lennart Meri.

Das „Vorgehen gegen alle Kollaborateure“ hat Ex-Außenminister Meri zu seinem Motto erkoren. Und gemeint ist hierbei auch sein Gegner Arnold Rüütel. Dieser hat aus seiner KP-Vergangenheit nie ein Hehl gemacht. Vor dem KGB-Gespenst, das die estnische Skandalpresse ausgegraben hat, ohne mit Beweisen dienen zu können, hat er offenbar keine Angst.

In KGB-Nähe ist aber plötzlich Lennart Meri gerückt, der sich als Außenminister einen Namen gemacht hatte, als er sein Ministerium von allen reinigte, denen auch nur Sympathie zur KP nachgesagt wurde. Die gleichen Blätter, die Rüütel belasten, wollen ausgegraben haben, daß zwar nicht Meri selbst, aber sein Vater KGB-Agent gewesen sei. Dieser Vorwurf hat anläßlich des stark personalisierten Wahlkampfs ein solches Aufsehen erregt, daß ein Untersuchungsausschuß eingerichtet wurde, der die Vorwürfe klären soll.

Angesichts dieser Unwägbarkeiten erscheint es mittlerweile nahezu ausgeschlossen, daß einer der KandidatInnen die erforderliche absolute Mehrheit erhält. In diesem Falle entscheidet das Parlament. Und hier werden trotz der noch völlig unübersichtlichen Kräfteverhältnisse Arnold Rüütel die besten Chancen eingeräumt. Reinhard Wolff