"Bei vielen sitzt die Angst eine Stufe tiefer"

■ Es geht auch anders: In alsterdorf hat eine Initiative die Anwohner eines Pavillondorfes ein Jahr lang auf ihre neuen Nachbarn vorbereitet. Bei regelmäßigen Treffen werden die Befürchtungen..

hat eine Initiative die Anwohner eines Pavillondorfes ein Jahr lang auf ihre neuen Nachbarn vorbereitet. Bei regelmäßigen Treffen werden die Befürchtungen der Menschen ernst genommen. Das Engagement bringt die Bewohner des Stadtteils zusammen.

Die elf weißen Holzhäuser des Pavillon-Dorfes an der Sengelmannstraße im Hamburger Bezirk Nord kommen aus Norwegen. Nach einer weltweiten Ausschreibung hat sich die Sozialbehörde der Hansestadt für diese Fertigbauten entschieden. Sie bieten Wohnraum für jeweils 24 Personen, sind zweckmäßig ausgestattet: mehrere Küchen, Bäder und Schlafzimmer stehen den Gästen zur Verfügung.

Seit Ende Mai dieses Jahres leben in den Häusern auf der ehemaligen Obstkoppel 270 Asylbewerber. Im Gegensatz zu anderen Standorten wurden sie im Stadtteil Alsterdorf gut aufgenommen. „Eine Bürgerinitiative hat für uns Schönwetter gemacht“, erklärt Unterkunftsleiterin Reinhild Heidebrecht die aufgeschlossene Stimmung unter den Nachbarn des Pavillon-Dorfes. Von Anfang an hätte es Anhörungen und Diskussionen gegeben, seien die Bürger mit ihren Ängsten zu Wort gekommen und ernst genommen worden. „Wer sich mit der Situation der Flüchtlinge auseinandersetzt, hat mehr Verständnis für sie.“

Aufgerissene Beutel der Altkleidersammlung

Dennoch kommen aus den angrenzenden Dienstwohnungen der Justizbehörde Am Hasenberg, in denen Vollzugsbeamte der nahe gelegenen Strafanstalt Fuhlsbüttel leben, gelegentlich Beschwerden. So sollen Beutel der Kleidersammlungen aufgerissen und ausgekippt worden sein. „Wir gehen den Vorwürfen selbstverständlich nach“, sagt Reinhild Heidebrecht. „Die meisten Verdächtigungen erweisen

1sich dann aber als nicht richtig.“ Uneinsichtige Anwohner hätten dennoch geschworen, „keinen Schritt auf diese Erde“ setzen zu wollen. „Das ist allerdings eine Minderheit.“

Lesekreis für Flüchtlinge in der Bücherhalle

Viele engagieren sich in der Initiative Pavillon-Dorf Sengelmannstraße (IPS). Wie Inge Asimiadis, die die Informationsgruppe der Initiative leitet. „Bis jetzt haben wir zwölf Hefte herausgegeben, in denen wir über die Situation der Asylbewerber und unsere Aktivitäten berichten.“ Die Blätter werden von der ortansässigen Druckerei Trompke kostenlos gedruckt und in einer Auflage von 4000 Exemplaren der Alstertaler Zeitung beigelegt.

Darüber hinaus betreut Inge Asimiadis als Mitarbeiterin der Fuhlsbüttler Bücherhalle lesebegeisterte Asylbewerber und ihre Kinder. Einmal in der Woche gibt es in den Räumen der Bücherhalle ein Bilderbuchkino. „Damit viele Kinder zugleich in ein Bilderbuch schauen können, werden abfotografierte Geschichten als Lichtbilder an die Wand geworfen.“ Erwachsene können sich Sprachbücher ausleihen oder Kassetten mit orientalischer Musik. „Ungefähr 30 Personen machen davon regelmäßig Gebrauch.“

Eine der Mitbegründerinnen der IPS, Renate Herzog, stellt besonders den Netzwerkcharakter der Initiative heraus: „Hier arbeiten Menschen aller politischen Gruppen und Konfessionen an einer gemeinsamen Idee.“ Nämlich ein nachbarschaftliches Zusammenleben zwischen Deutschen und Asyl-

1bewerbern zu ermöglichen. Die Vorsitzende der Bezirksversammlung Nord koordiniert derzeit die Arbeit. Als weiteres Ziel der Initiative formuliert sie: „Bürger aus allen Bereichen des Stadtteils sollen zur Mitarbeit motiviert werden.“

Fast alle Gerüchte lassen sich aufklären

Vom ersten Treffen der IPS im März 1991 an dabei ist auch Pastor Christian Kühn von der St.Marien Gemeinde. Er hält den Kontakt zu den Anwohnern aufrecht und kümmert sich um Probleme, die sie im Zusammenhang mit der Asylbewerberunterkunft vorbringen. Augenblicklich, so meint er, gebe es keinen Grund, sich über die Flüchtlinge aufzuregen. „Wir haben uns das alles schlimmer vorgestellt.“ Trotzdem seien noch unhaltbare Gerüchte im Umlauf. Ein Geschäftsmann soll gefesselt, seine Frau vergewaltigt worden sein. „Richtig ist, daß es in dem Laden einen Trickdiebstahl gab“, erklärt Pastor Kühn. „Inzwischen sind Verdächtige aus Lurup festgenommen worden.“

Für Christian Kühn ist es ein Aufrag der Bibel, sich um Fremde zu kümmern. „Ich wünsche mir wenigstens ein friedliches Nebeneinander“, sagt er, „besser wäre ein Miteinander.“ Es gebe jedoch wei-

1terhin große Ängste auf Seiten der Anwohner. „Bei vielen Menschen sitzt das alles eine Stufe tiefer.“ Seine Tochter engagiert sich mittlerweile bei der Schulaufgabenhilfe in der Unterkunft.

Die Bewohner des Pavillon-Dorfes organisieren ihr tägliches Leben selbst. Ungefähr 20 von ihnen haben sich bereits für einen Sprachkurs angemeldet, für den sie eine Eigenbeteiligung von 30 Mark zahlen müssen. Die Wohnungen kosten pro Person 78 Mark. Das Geld bekommen sie vom Sozialamt — „aber“, so betont Unterkunftsleiterin Reinhild Heidebrecht, „fast alle wollen arbeiten“. Oft scheitere eine Beschäftigung an der erforderlichen Arbeitserlaubnis oder Ortskenntnissen. „Einige arbeiten dennoch zwischen zwei und acht Stunden am Tag.“ Und das, obwohl dann ein gewisser Teil des Lohnes

1von der Sozialhilfe abgezogen wird.

Demiron Zemkir kommt aus Jugoslawien. In seiner Heimat war er als Gartenarbeiter beschäftigt.

Für Aklil ist Deutschland einfach viel zu flach

Er würde auch hier gerne arbeiten, doch im Moment muß er seine kranke Tochter jeden Tag zu Therapien begleiten. Seit die elfjährige eine Treppe hinunter gefallen ist, sitzt sie im Rollstuhl. „Ein gebrauchter Rollstuhl, der oft kaputt ist.“

Demiron Zemkir wird im nächsten Monat 30 Jahre alt. Das Leben in Deutschland stellt er sich schön vor: „Meine Frau und ich können arbeiten und zusammen jeden Monat 3000 Mark verdienen.“ Für ihn ist es wichtig, daß er dann Wohnung und Essen selbst bezahlen

1kann. Doch jetzt hat er Angst vor Ausländerhaß: „Viele Leut gut, aber manche Leut sehr schlecht.“ Schon in seiner Heimat hatte er als Zigeuner Schwierigkeiten und kam deshalb nach Deutschland.

Unbefangen sind die Kinder. Der 16jährige Hamid schreibt sich jedes neue deutsche Wort in ein kleines Notizbüchlein. „Was hast du gesagt: Gras, Rasen. Wo ist der Unterschied?“ Er ist vor dem Krieg aus Afghanistan geflohen. Doch genau wie sein zwölfjähriger Freund Aklil will er so bald wie möglich in die bergige Heimat zurück. „Hier ist alles so flach.“

Auch sie wissen um die Feindseligkeit, die Ausländern mancherorts in Deutschland entgegengebracht wird. Und sie fragen danach. „Glauben die Menschen, es gibt zuviele Ausländer?“ will Aklil erklärt bekommen. Torsten Schubert