Notrufe aus Seoul und Mexico City

■ Am Freitag stellen sich zwei Frauenprojekte gegen Gewalt aus Südkorea und Mexiko in der Schokofabrik vor Diskussion in Ost-Berlin: Sexuelle Gewalt ist kein Elendsphänomen/ Ex-Zwangsprostituierte erheben Stimme

Berlin. Was unterscheidet die Frauen von der »Women's Hot Line« in Seoul, die »COVAC«- Frauen in Mexico City und die Notruffrauen in Berlin? Alle diese Initiativen gegen Männergewalt, so mußten die von der »Frauen-An-Stiftung« als Sponsor der Projekte eingeladenen Koreanerinnen und Mexikanerinnen erkennen, haben mit ähnlichen politischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Aber es gibt auch Unterschiede, die die hiesige Debatte um sexuellen Mißbrauch bereichern können und die bei einer Veranstaltung am Freitag abend in der »Schokofabrik« wohl zur Sprache kommen werden.

So wunderten sich die Mexikanerinnen vom 1984 gegründeten COVAC-Kollektiv, das jährlich rund 200 vergewaltigte, mißhandelte und mißbrauchte Frauen berät, in einem Ostberliner Frauenprojekt über die Meinung, sexuelle Gewalt sei ein Elendsdelikt — begangen hauptsächlich von Arbeitslosen und Deklassierten. In Mexiko jedenfalls sehe das anders aus. Nach gründlicher Computerauswertung ihrer Beratungstätigkeit wußten sie, daß 84 Prozent aller Vergewaltiger in einem Beschäftigungsverhältnis standen — ein sehr hoher Prozentsatz im ökonomisch verelendeten Mexiko. 28 Prozent waren Büroangestellte, 20 Prozent Arbeiter, 17 Prozent öffentliche Funktionäre, zum Beispiel Polizisten, und 5 Prozent hatten Universitätstitel. 44 Prozent aller Frauen waren unter Vorhaltung von Waffen vergewaltigt worden.

Umgekehrt staunten die Ostberlinerinnen bei den Zahlen, daß vor allem diejenigen Frauen, die Arbeit haben, von ihren Ehemännern geschlagen und mißhandelt werden. Gegen Gewalt in der Ehe genießen die Mexikanerinnen bis heute kaum Schutz: »Wenn die Wunden vor dem Ablauf von 15 Tagen geheilt sind, unternimmt die Polizei nichts«, berichten die COVAC-Frauen. Der allergrößte Teil der Frauen wird nach ihrer Auswertung über den Zeitraum zwischen einem und 15 Jahren mißhandelt. Dennoch dachten 40 Prozent nie an Trennung.

Auch die seit 1983 arbeitenden Notruffrauen von Seoul kümmern sich vor allem per telefonische Beratung um vergewaltigte und geschlagene Frauen und mißbrauchte Mädchen. Daß die Zahl der sexuellen Gewaltakte in Südkorea so stark angestiegen sei — nach einer Umfrage haben 98 Prozent aller Frauen Angst vor Gewalttaten —, liege neben der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur vor allem an der Militärdiktatur: »Gewalt wird als nicht so schlimm angesehen. Und Polizisten und Militärs gehen auch privat brutal mit ihren Frauen um.« Dennoch sei gerade in der letzten Zeit dieses Thema in den Medien endlich enttabuisiert worden. Unter anderem durch die Berichterstattung über eine Studentin, die 1986 von einem Polizisten vergewaltigt wurde. Nachdem Frauenorganisationen zwei Jahre kämpften, wurde er vom Dienst suspendiert, und sie bekam eine Entschädigung, mit der sie ein ArbeiterInnenzentrum finanzierte. In einem anderen Fall konnten die Notruffrauen erreichen, daß eine Frau wegen Notwehr vor Gericht freigesprochen wurde: Sie war jahrelang von ihrem Mann so schwer mißhandelt worden, daß sie mehrere Fehlgeburten erlitt, und hatte ihn dann mit einer Krawatte erwürgt.

Die Notruffrauen machen sich aber auch für die ehemaligen Zwangsprostituierten stark, die im Zweiten Weltkrieg von Japanern verschleppt und mißbraucht wurden und nach jahrzehntelangem Schweigen nun endlich zu reden begonnen haben. Neun Frauen haben sogar einen Prozeß gegen die japanische Regierung angestrengt, bisher jedoch ohne Erfolg. usche

»Nation Kultur Gewalt gegen Frauen«:

Freitag, 20.30 Uhr, Schokofabrik Kreuzberg,

Mariannenstraße 6, 1/36