■ In Spanien werden wieder Jungstiere gehetzt
: Die Zeit blutiger Feste

Die Zeit blutiger Feste

Madrid (taz) — Herbstbeginn — Zeit der Feste in den Dörfern rund um Madrid. Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht werden die Bewohner von Algete, Arganda del Rey, Galapagar oder Parla durch Musikgruppen, Spiele, Tanz, große Fressen und exzessive Besäufnisse in Atem gehalten. Ein weiterer, in vielen Dörfern unentbehrlicher Bestandteil der Festlichkeiten ist nun wieder einmal in die Schlagzeilen geraten: der Encierro, das Eintreiben der Stiere.

Die Jungstiere werden durch eine Gasse auf einen Platz getrieben, auf dem danach der eigentliche Kampf stattfindet. Vor, neben und hinter den Stieren laufen die jungen Männer des Dorfes, möglichst nah am Kampftier und möglichst ohne von diesem aufgespießt zu werden. Da der Versuch in diesem Jahr mehrfach, im wahrsten Sinne des Wortes, in die Hose ging und Dutzende Läufer von Hörnern durchbohrt wurden und einer gar ein Auge verlor, wurden wieder einmal verstärkte Sicherheitsmaßnahmen gefordert. Zu viele Jungmannen seien an dem Rennen beteiligt, lautet die Kritik, die Zuschauertribüne beim anschließenden Stierkampf, eigens für diesen Anlaß aufgebaut, sei zumeist überlastet und einem starken Stoß des zornigen Stieres nicht gewachsen. Bei Unfällen sei nur selten ein Stierexperte zur Stelle, um das wütende Tier von seinem Opfer abzulenken. Schließlich seien die jugendlichen Läufer zu früher Morgenstunde — die Rennen finden meistens morgens um neun statt— übermüdet und noch völlig alkoholisiert und dadurch reaktionsunfähig.

Daß nicht nur die Jugendlichen bei den Rennen zu Schaden kommen, ist dieses Jahr weitgehend in den Hintergrund geraten. Stundenlang werden in manchen Dörfern die aufgeregten Kälber durch die Gassen getrieben und gehänselt, getreten und geschlagen, bis sie völlig erschöpft und gestreßt in der improvisierten Arena eintreffen, wo unerfahrene Toreros sich auf ihre Kosten zu profilieren versuchen. In manchen Orten werden die Tiere darüber hinaus mit Alkohol abgefüllt, und es werden ihnen die schmerzempfindlichen Hörner zum Schutz der Läufer abgesägt. Doch wer zum Schutz der Tiere und der Feiernden Kritik äußert, gilt als gemeiner Spielverderber: Tierschützer werden ausgebuht, und die Bürgermeister der Dörfer winken ab, wenn ein Verbot der blutigen Spiele gefordert wird. Der Tod am Nachmittag geht weiter. Antje Bauer