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Das Jahrhundert der Ökonomie

■ Die Marktwirtschaft bietet der Umwelt hinreichenden Schutz. Erst wenn die Preise die ökologische Wahrheit sagen, wirkt sich der Marktmechanismus wirklich umweltschonend aus. Wer die Umwelt am elegantesten...

Die Marktwirtschaft bietet der Umwelt keinen hinreichenden Schutz. Erst wenn die Preise die ökologische Wahrheit sagen, wirkt sich der Marktmechanismus wirklich umweltschonend aus. Wer die Umwelt am elegantesten schont und schützt, soll am besten verdienen, fordert der Wissenschaftler ERNST ULRICH VON WEIZSÄCKER

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nser Jahrhundert ist das Jahrhundert der Ökonomie. Wissenschaft und Technik, früher eher den Künsten zugeordnet, sind heute Wirtschaftsfaktoren. Auch die Einteilung der Welt erfolgt nach wirtschaftlichen Kriterien: Ob Länder „hochentwickelt“ oder „unterentwickelt“ sind, ist wichtiger als ihr Klima, ihre Staatsform oder ihre Religion. Die Europäische Gemeinschaft bleibt auch nach Maastricht eine Wirtschaftsgemeinschaft. Sogar demokratische Wahlen werden nach Wirtschaftgesichtspunkten entschieden. Beim „Erdgipfel“ in Rio de Janeiro im Juni dieses Jahres haben sich die meisten Teilnehmerstaaten wegen wirtschaftlicher Interessen gestritten. Es ist jedoch ebenso deutlich geworden, daß der industrialisierte Norden die größten Beiträge zur globalen Umweltzerstörung verschuldet. Was die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung an Energie, Fläche, Wasser, Luft und anderen Naturgütern verbrauchen — direkt oder indirekt — ist nicht auf die restlichen neunzig Prozent ausdehnbar, ohne daß die Erde ökologisch kollabieren würde. Gegenwärtig werden pro Sekunde etwa 1.000 Tonnen Erdreich abgeschwemmt und abgetragen. Der Waldbestand der Erde nimmt pro Sekunde um schätzungsweise 3.000 Quadratmeter ab — auf ein Jahr umgerechnet, ist das mehr als die Fläche von Österreich und Schweiz zusammen. Täglich werden etwa zehn oder sogar fünfzig Tier- oder Pflanzenarten ausgerottet. Und sekündlich werden etwa 1.000 Tonnen Treibhausgase in die Luft geblasen. Auch die Marktwirtschaft bietet der Umwelt offensichtlich keinen auch nur annähernd hinreichenden Schutz. Daß sozialistische Länder die Situation noch verschlimmert haben, ist nur eine Ausrede. Ökosoziale Markwirtschaft darf diese Tatsachen nicht verdrängen. Erst wenn die Preise „die ökologische Wahrheit sagen“, wirkt sich der Marktmechanismus wirklich umweltschonend aus. Wenn umweltbelastend hergestellte, konservierte, transportierte, verpackte oder zu entsorgende Waren spürbar teuer sind als jene mit minimaler Umweltbelastung, wird der Kunde dennoch eine der Umwelt verträgliche Kaufentscheidung treffen.

Das altvertraute „Verursacherprinzip“ hat ursprünglich dazu gedient, die Preise an die ökologische Wahrheit anzunähern. Das sollte dadurch erreicht werden, indem Grenzwerte der Verschmutzung definiert wurden. Der Verschmutzer mußte demnach die finanziellen Aufwendungen für die Einhaltung der Grenzwerte bezahlen. Was aber, wenn er nicht zahlen konnte? Was war mit den Verschmutzungsschäden bei Einhaltung der Grenzwerte? Und was war mit den ökologisch äußerst relevanten Größen Energieverbrauch, Rohstoffverbrauch, Wasserverbrauch, Landversiegelung, für die keine Grenzwerte definiert wurden? Von der ökologischen Wahrheit sind die Preise noch weit entfernt. Es gelingt den Verursachern von Umweltschäden weiterhin, einen erheblichen Teil der Last nach „draußen“ abzuschieben. Die Ökonomie nennt dieses Nach-draußen-Abschieben „externalisieren“ und das Ergebnis des Abschiebens „externe Kosten“. Es ist sehr schwierig, diese externen Kosten in Mark und Pfennig auszudrücken. Lutz Wicke, ehemaliger Präsident des Umweltbundesamtes, hat in seiner Studie „Umweltökonomie“ versucht, die durch Umweltschäden verursachten externen Kosten für die damalige Bundesrepublik zu schätzen. Er kommt auf beachtliche 103 Milliarden Mark pro Jahr, bezogen auf das Jahr 1985. Dabei entfällt grob geschätzt die Hälfte auf Luftverschmutzungsschäden (ohne Klima) und ein knappes Drittel auf den Lärm (im wesentlichen durch Wertverluste von Grundstücken an lauten Straßen). Wenn Wickes Zahlen auch noch Externkosten für Unfälle und Gesundheit, für Schädigungen des Klimas, des Bodens, der ökologischen Vielfalt und für exportierte und auf künftige Generationen verlagerte Schäden hinzurechnet, geht es in die Größenordnung von 200 Milliarden Mark. In großen Bereichen der Umweltpolitik, wie dem Energiesektor, scheinen Grenzwerte ungeeignet zu sein, auch nur die wichtigsten Schäden zu vermeiden. Die ökologischen und langfristigen Kosten des Energieverbrauchs, des Flächenverbrauchs, der Weltarbeitsteilung und der Zerstörung biologischer Vielfalt werden durch die Grenzwertpolitik beim Verursacher so gut wie gar nicht sichtbar gemacht. Auch die externen Kosten aufgrund von Risiken, die in der Größenordnung heutiger Industriesysteme begründet liegen, werden nicht eingefangen. Die Grenzwertpolitik hat ihre Grenzen erreicht und der Naturverbrauch geht fast ungehindert weiter.

Der Verbrauch von Fossil- und Atomenergie soll besteuert werden

Es wäre also zu rechtfertigen, dem Naturverbrauch insgesamt einen Preisaufschlag von wenigstens 100 Milliarden Mark aufzudrücken. Würde dieser über Nacht in Form von zusätzlichen Steuern erlassen, gäbe es wohl eine schwere Wirtschaftskrise. Wesentlich eleganter, sozialverträglicher, wirtschaftsverträglicher und innovationsfreundlicher wäre der folgende Vorschlag: Man belegt die einfach kontrollierbaren Faktoren des Naturverbrauchs, insbesondere den Verbrauch von Fossil- und Atomenergie, mit einer langsam anwachsenden Steuer, so daß diese Faktoren jedes Jahr um lediglich fünf Prozent (inflationsbereinigt) teurer werden. Das gesamte so abgeschöpfte Steueraufkommen wird aber nicht dem Staat geschenkt, sondern durch Steuerermäßigungen an anderer Stelle, zum Beispiel der Mehrwertsteuer oder durch Senkung der Sozialversicherungsbeiträge, dem Steuerzahler zurückgegeben. Dann gäbe es zu keinem Zeitpunkt soziale oder gesamtwirtschaftliche Nöte, und trotzdem würden dadurch die Technologie, die Infrastruktur und letzlich sogar unsere gesamte Kulter umweltverträglicher werden. Allerdings müßte an dieser Strategie mindestens 20, am besten 40 bis 50 Jahre festgehalten werden.

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hat den Vorschlag gemacht, mit der Besteuerung der Fossil- und Atomenergie bereits zu beginnen. Bis zum Jahr 2000 soll der Energiepreis um 10 Dollar je Faß Öl verteuert werden. Die Mitgliedsstaaten sollen in gleichem Umfang andere Steuern senken. Das ist ein Vorschlag in die richtige Richtung.

Europäisches Umweltzeichen für umweltschonend hergestellte Produkte

Natürlich gibt es auch andere Schritte auf dem Weg zu einer ökosozialen Marktwirtschaft. Das neue Umwelthaftungsgesetz greift allmählich. Die Europäische Gemeinschaft will ab 1993 ein europäisches Umweltzeichen für umweltschonend hergestellte Produkte einführen. Umwelt-Audits beginnen eine ökologische Buchführung zur Routine werden zu lassen. Aktienkurse von Umweltfirmen haben inzwischen eine bessere Weiterentwicklung als der Aktiendurchschnitt.

Zwanzig Jahre Umweltpolitik haben zumindest in der Bundesrepublik den Umweltschutz zu einer Branche des technischen Fortschritts und des industriellen Wachstums gemacht. Aber diese Entwicklung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß Umwelttechnologien auch ihre Schattenseiten haben. Beispielsweise hat die Industrie ihre umweltbelastende Produktion einfach in Entwicklungsländer verlagert und damit den bequemen Ausweg gewählt. Außerdem ist die Art des Umweltschutzes, wie er bei uns betrieben wird, für die meisten Länder der Welt in dieser Form unerschwinglich. Und es darf nicht übersehen werden, daß es sich bislang noch vorwiegend um einen oberflächlich kurierenden, nicht aber um einen heilenden oder gar präventiven Umweltschutz handelt. Für die Umwelt ist offensichtlich noch nicht genug gewonnen, wenn die Wachstumsbranche Umweltschutz wie bisher weiter wächst. Vielmehr muß sie sich qualitativ verbessern und internationalisieren.

Der jetzige Wohlstand ist nicht durchhaltbar. Wenn wir diese banale Tatsache verdrängen, bereiten wir einen politischen und ökologischen Weltenbrand vor, gegen den der Zweite Weltkrieg wie ein Scharmützel wirken würde.

Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Präsident des neugegründeten Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie.

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