Das EWS gerät aus den Fugen

■ Die Aussetzung der Stützungsverpflichtung für Pfund und Lira kommt faktisch einer Ab- wertung beider Währungen gleich, der Kurs muß sich auf den Finanzmärkten behaupten

Die vielbeschworene monetäre Harmonie Europas ist ins Wanken geraten. Eine beispiellose Kapitalflucht aus den schwachen EG-Währungen hat das Europäische Währungssystem (EWS) in die schwerste Krise seit seiner Gründung vor 13 Jahren gestürzt: Nachdem am Mittwoch mit der italienischen Lira, dem britischen Pfund und der spanischen Peseta gleich drei europäische Währungen außer Rand und Band gerieten, sah sich der EG-Währungsausschuß zum zweiten Realignment, der Anpassung der EWS-Wechselkurse, innerhalb von fünf Tagen gezwungen. Die britische Regierung stieg am Mittwoch abend in einer geldpolitischen Kehrtwende vorübergehend aus dem EWS-Wechselkursmechanismus aus — worauf der EG-Währungsausschuß, in dem die Finanzminister und Notenbankpräsidenten der EG-Staaten vertreten sind, auch die Stützungskäufe für die ebenfalls unter Druck geratene italienische Währung aussetzte. Die Aussetzung der Stützungsverpflichtung kommt faktisch einer Abwertung beider Währungen gleich, der Kurs bleibt nun dem freien Spiel der Finanzmärkte überlassen.

Das EWS besteht seit dem 13. März 1979. Es wurde von den Staats- und Regierungschefs der EG als Nachfolgesystem des als unpraktikabel erwiesenen Europäischen Wechselkursverbunds ins Leben gerufen. Das Ziel: in Europa sollte eine Zone stabiler Währungen verwirklicht werden. Das EWS, das die sogenannte „Währungsschlange“ aus dem Jahre 1972 mit festen Wechselkursen ablöste, besteht aus zwei Grundelementen: der Europäischen Währungseinheit (Ecu) und dem Wechselkursmechanismus. Der Ecu ist eine Korbwährung und setzt sich aus den Währungen der einzelnen Mitgliedstaaten zusammen, die nach der Wirtschaftskraft des jeweiligen Landes gewichtet werden. Beim Wechselkursmechanismus dient der Ecu unter anderem als Bezugsgröße für die Festsetzung der Leitkurse, die in einem festgelegten Verhältnis zueinander stehen. Die Wechselkurse der Partnerwährungen dürfen untereinander nur in einer engen Bandbreite von 2,25 oder sechs Prozent (Spanien, Großbritannien und Portugal) nach oben oder unten schwanken. Werden diese Margen überschritten, müssen die Notenbanken an den Devisenmärkten eingreifen — und zwar mit Stützungskäufen in unbegrenzter Höhe.

Die Notenbanken können aber auch bereits vorher eingreifen, um eine Währung gar nicht erst an die Interventionsgrenzen gelangen zu lassen. Im EWS-Wechselkursmechanismus fehlt nach der Aufnahme des portugiesischen Escudo nur noch die griechische Drachme. Die Einbindung aller EG-Währungen gilt als Voraussetzung für das Zusammenwirken der EG- Länder in der geplanten Wirtschafts- und Währungsunion. Angebunden an den Ecu, aber nicht an das EWS, sind die Währungen der skandinavischen Länder Schweden und Norwegen. Finnland gab die Bindung Anfang September wieder auf. Erwin Single