Ein Museum zum Anfassen

■ "Riechen, Schmecken und Fühlen" soll man im Völkerkundemuseum. Der neue Direktor Wulf Köpke hat große Pläne. Aber dafür fehlt der Platz, trotz fertiger Erweiterungspläne

. Der neue Direktor

Wulf Köpke hat große Pläne. Aber dafür fehlt

der Platz, trotz fertiger Erweiterungspläne.

Mit freundlich blinzelnden Augen sitzt Wulf Köpke am Besuchertisch in seinem Büro und erzählt mit schwärmerischen Untertönen die Geschichte des riesigen Samowars, der in einer Ecke auf einem antiken Holzwägelchen steht und aus dem er seine Gäste mit Tee versorgt. Wie nebenbei flicht er Anekdoten und Beobachtungen von seinen ethnologischen Reisen ein, berichtet von erstaunlichen Erlebnissen mit fremden Symbolen und Mentalitäten, wo gleiche Erscheinungen etwas ganz anderes bedeuten wie hier und folglich zu komischen Verwechslungen führen. Aus seinem Wesen strömt eine Begeisterung für das schlicht Sinnliche, die sich auch überall in seinen Ideen zur Umgestaltung des Museums für Völkerkunde wiederfindet. Seit dem 1. April dieses Jahres ist Wulf Köpke deres Direktor.

Mit seiner überraschenden Verpflichtung Ende letzten Jahres verband Kultursenatorin Christina

1Weiss die Hoffnung, daß konzeptionell und „in den Überlegungen zur aktuellen Aufgabenstellung an ein ethnologisches Museum Neuland gefunden wird.“ Entgegen dem Trend in anderen bundesdeutschen Großstädten unterstützt die Senatorin diese Suche auch mit erheblichen Mehrmitteln. Neben 900000 Mark Etaterhöhung (jetzt 5,1 Mio) und weiteren Geldern für den Ausbau des Gebäudes, wird insbesondere der personelle Sektor verstärkt. Drei zusätzliche wissenschaftliche Stellen sind bereits bewilligt: Neben einem weiteren Kustoden für die Geschichte des Islam, womit auf die zunehmende Bedeutung der jüngsten Weltreligion, sowohl für Hamburg als auch weltpolitisch reagiert wird, und einer Restauratorenstelle für den reichhaltigen Schatz an Musikinstrumenten, wird es an der Binderstraße erstmalig in der deutschen Museumslandschaft einen Fotohistoriker geben, der sich mit der systematischen Archivierung und Auswertung der über 500000 Fotografien beschäftigen soll. Weitere wissenschaftliche Mitarbeiterstellen sollen folgen.

Mit einer solchen Besetzung sieht Köpke auch eine seiner zentralen Forderungen an ein zeitgemäßes Völkerkundemuseum in einem ersten Schritt gewährleistet: Die Service-Funktion. Er möchte die Archivschätze für die Öffentlichkeit zugänglich machen, um so eine Öffnung des Museums zur Stadt hin zu intensivieren. Wer Abbildungen von anderen Völkern benötigt, soll sich in näherer Zukunft ebenso an das Museum wenden können, wie jemand, der sich vor einer Fernreise über die Sitten und Gebräuche des jeweiligen Landes informieren möchte.

Auch die überquellenden Magazine sollen zugänglich gemacht werden. Dazu wird momentan gerade ein Kellertrakt renoviert, in dem der Fundus an keramischen Stücken ausgestellt werden soll. Überhaupt sieht der vom Berliner Völkerkundemuseum in Dahlem abgeworbene Europa-Experte das Ziel der nächsten Jahre weniger in großen Ausstellungsprojekten, als vielmehr in der systematischen Umgestaltung der Sammlung und der Renovierung des 1912 erbauten Museums. „Wir müssen hier einmal richtig durchlüften. Im praktischen, wie im übertragenen Sinn,“ umschreibt er seine vordringliche Aufgabe.

1Bei zwei Spaziergängen durch sein neues Domizil wird dann klar, wie die Köpkesche Ventilation funktioniert. Sein Elan erstreckt sich von kleinen atmosphärischen Detailfragen bis zur dezidierten Profilentwicklung eines Museums für die Neunziger Jahre. So ärgert er sich mit demselben Verve über den häßlichen Plastikschutz auf den Steintreppen, die für ältere Leute ungünstige Form des Geländers oder den unsäglichen grauen Teppichboden, wie er kurz darauf seine Vision von einem politischen und flexiblen Museum der Verständigung entwirft, daß vor allem Spaß machen soll.

Nicht um Agit-Prop oder Aufrufe „doch lieber zu den Ausländern zu sein“ gehe es ihm, sondern um eine aktive Rolle des Museums bei der Entwicklung von Kommunikation und Verständnis, beim Wecken von Interesse für die Eigenarten anderer Völker, an denen sich viele hiesige Gegebenheiten spiegeln lassen. Ein Museum müsse umgehend auf geschichtliche Veränderungen und politische Vorkommnisse reagieren können.

Gleichzeitig versucht er sensiblere Vermittlungsformen zu ersinnen, als die altbekannten Glaskästen. Beim Gang durch die in Vorbereitung befindliche erste große Ausstellung seiner Amtszeit „Afrika in Amerika“ (Eröffnung am 8.10.) zeigen sich die ersten Beispiele seines synästhetischen Konzeptes.

1Baumwollballen sollen auf dem mit Sand bedeckten Teppichboden herumliegen, aus denen kleine Flocken gezogen werden können, um einen Eindruck von der Konsistenz des Materials zu bekommen. Daneben wird eine kubanische Zuckerrohrpresse aufgebaut, an der der Besucher selbst Hand anlegen kann. Gegenüber wird ein Voodoo-Altar aus Bahia stehen, auf dem Räucherstäb-

1chen brennen. Betreten werden soll die Ausstellung durch einen Sklavenkäfig.

Riechen, Schmecken, Fühlen, diese im Museumsbereich schwer vernachlässigten Sinnbrücken sollen auch in der stehenden Sammlung verstärkt eingebaut werden. Ein türkisches Gästehaus im Paterre, in dem gekocht und gegessen wird, ist eines von vielen Beispielen, wie die Vitrinenschau ergänzt werden wird. Auf technische Medien will er, mit Ausnahme von Bildplattenspielern, die den Besuchern einmal das Fotoarchiv zugänglich machen sollen, verzichten. Er wolle lieber „die menschliche Dimension stärken.“

Beim Verlassen der für die Ausstellung geräumten und renovierten ehemaligen Eurasien-Abteilung, entdeckt der Museumschef mit Freude, daß der Abriß der alten Sowjetunion-Schaukästen begonnen hat. Die Jurte, die früher im äußeren Rundsaal gestanden hat, finden wir später in den Kellermagazinen wieder. Ebenso die Puppen, deren lebensechte Köpfe auf Körpern aus Holzstangen staken. Der Gang durch die Kellergewölbe und die provisorischen Magazine im Dachgeschoß, das gerade für über drei Millionen Mark asbest-saniert werden muß (und wo dennoch Frettchen leben), vermittelt einen Eindruck von einem der drängensten und gleichzeitig ältesten Problemen des Museums: Der Raumnot.

Schon in den Annalen des Muse-

1ums, das 1979 seinen hundertsten Geburtstag feierte, läßt sich nachlesen, wie der Platzmangel die Geschichte des Hauses und seiner verschiedenen Präsidenten begleitete. Schon 1915, als der legendäre zweite Direktor des Museums Georg Thilenius gerade einmal 104533 Stücke versammelt hatte, bestand der Plan eines Erweiterungsbaus, der sich bis zur Feldbrunnenstraße erstrecken sollte. Heute, wo das Museum mehr als das 15fache an Schaustücken besitzt, ist dieser Anbau bestimmt nicht weniger dringend geworden. Erneuerte Pläne des Architektenbüros von Bassewitz liegen auch fertig in der Schublade, eine Realisation steht aber momentan nicht zur Debatte. Schließlich betreibt der Senat mit der Kunstinsel und dem Museum der Arbeit gegenwärtig zwei teure Bauprojekte im Museumsbereich.

Köpke versucht nun aus der Not eine Tugend zu machen, indem er das Haus nach versteckten Ressourcen abklopft und damit ein großzügigeres Raumkonzept verbindet. Mit Geldern des Fördervereins möchte er jetzt zum Beispiel gerne ein Zwischengeschoß und eine Glaskuppel in den kleineren von zwei Innenhöfen einbauen, um damit sowohl neue Depot- als auch Ausstellungsfläche zu gewinnen. Außerdem wird Ende des Monats mit der Umgestaltung der Eingangshalle begonnen. Auch dort, wo der Besucher es nicht sieht, nämlich in den extrem verschachtelten Kellerräumen, will er Raum, Luft und Licht schaffen, indem alle nichttragenden Wände entfernt werden.

Insbesondere die Lagerung der Schaustücke verlangt schnell nach besseren Bedingungen, denn im jetzigen Zustand sind die Magazine „eine teure Form von Müllhalde“, so Köpke. Außerdem benötige das

1Haus dringend eine/n TextilrestauratorIn für die über 100000 Stücke, die vielfach unsachgemäß gelagert seien. Im Ganzen braucht der Bestand noch mindestens 4 weitere Restauratoren für die unterschiedlichen Materialien.

Zur Zeit ist Köpke der Vorgesetzte von 42 festangestellten Mitarbeitern und 15 studentischen Hilfskräften. Er lege aber, betont der mit 39 Jahren noch sehr junge Direktor, großen Wert auf ein konstruktives Gesprächsklima im Haus. Er sei unter anderem deswegen nach Hamburg gegangen, weil ihm die hohe Motivation der hier

1Beschäftigten bekannt gewesen sei und er wünsche sich auch weiterhin, daß alle im Haus Arbeitenden sich an der Weiterentwicklung des Museums produktiv beteiligen würden.

Die konkreten Ausstellungspläne für die nächsten Jahre sehen eine Ausstellung über Drachen und eine große Europaausstellung vor. Ansonsten will Köpke die kleinen Veranstaltungen forcieren. Auch für von außen an ihn herangetragene Initiativen ist er stets offen. So be-

1ginnt Anfang Oktober ein Film- Club mit Spielfilmen aus aller Welt, den Studenten organisiert haben. Ein besonderes Augenmerk liegt auf Veranstaltungen mit und über Polen.

Doch all dies sind bei weitem nur ein Teil der Zunkunftspläne, die der neue Direktor mit charmanter Gelassenheit wie nebenbei entwickelt oder erfreut von seinen Mitarbeitern aufnimmt. Mit ihm ist eine Persönlichkeit an die Rothenbaumchaussee gezogen, die politischen Scharfblick mit praktischer Sinnlichkeit verbindet und, soweit die ersten Ergebnisse eine solche

1Beurteilung zulassen, unspektakulär aber effektiv arbeitet. In dieser Epoche, in der Europa zwischen Fusions- und Zerreißkräften, zwischen primitvem Rassenhaß und scheinbarem Weltbürgertum eine neue Orientierung sucht, bekommt die Völkerkunde wieder zentrale Bedeutung. Folglich ist ein sensibler und gleichzeitig kritischer Umgang, wie Wulf Köpke ihn zu versprechen scheint, ein wirklicher Gewinn für den Geist der Stadt. Till Briegleb