piwik no script img

Selbstbewußt gegen die Ignoranz

■ Torsten Prinzlin, Landesvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), über die Voraussetzungen für eine menschen- und fahrradfreundlichere Stadt

, Landesvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), über die Voraussetzungen für eine menschen- und fahrradfreundlichere Stadt

Was will der ADFC mit der Fahrradkampagne eigentlich erreichen?

Eine höhere allgemeine Aufmerksamkeit für das Fahrrad, die Ermunterung, verstärkt das Rad in der Stadt zu benutzen, und natürlich wollen wir auch den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung in die Pedale helfen.

Von wegen Ermunterung: Können Sie es verantworten, Leute zum Radfahren in dieser Stadt aufzufordern?

Natürlich. Das Unfallrisiko wird um so geringer, je mehr Leute mit dem Rad unterwegs sind. Gefährdet ist vor allem der einzelne Radler unter vielen Autos.

Beinhaltet das, durch den Druck der Radlermassen das Auto zurückzudrängen?

Radfahrer sind, zum Beispiel für die Hamburger Innenbehörde, kein Thema. Eine Ignoranz, die nur durch den „Druck der Straße“ überwunden werden kann. Eine große Anzahl selbstbewußter Radfahrer kann Forderungen ganz anders durchsetzen als eine kleine Minderheit.

Welche Forderungen stellt denn der ADFC an die künftige Hamburger Verkehrspolitik?

Im Prinzip müßte natürlich jede Straßenbaumaßnahme auf ihre Fahrradfreundlichkeit überprüft werden...

Fordern Sie eine Fahrradverträglichkeitsprüfung?

Ja. In anderen Städten wie Münster gibt es das schon. Wenn zum Beispiel eine Straße aufgerissen wird, sollte sie hinterher nicht einfach in den vorigen Zustand zurückversetzt werden. Da können gleich ohne großen Aufwand fahrradfreundliche Maßnahmen durchgeführt werden: fahrradfreundlicher Straßenbelag, sichere Kreuzungen und anderes.

Das setzt aber ein Umdenken in bestimmten Köpfen voraus. Wie ist diese Voraussetzung zu schaffen?

Das Rad muß begriffen werden als Fahrzeug des Alltags, für den Weg

zur Schule, zur Arbeit, ins Theater. Von allen Fahrten mit dem Auto sind 41 Prozent weniger als fünf Kilometer lang, 24 Prozent sogar kürzer als drei Kilometer. Da muß das Umdenken ansetzen, in der Bevölkerung genauso wie in Politiker- und Verwaltungsköpfen.

Das ist doch ein Teufelskreis — viele Leute würden häufiger mit dem Rad fahren, wenn die Stadt weniger autofreundlich wäre. Wo muß der Anfang gemacht werden: Erst weniger Autos oder erst mehr Radfahrer?

Das muß Hand in Hand gehen. Diebstahlssichere und wetterge-

schützte Abstellplätze in allen städtischen Zentren, an öffentlichen und auch privaten Gebäuden und an U- und S-Bahnhöfen, eine autofreie oder zumindest autoberuhigte Innenstadt, mehr Tempo-30-Zonen, mehr und andere Radwege ...

Hamburg rühmt sich seiner 1900 Kilometer Radwege. Ist Ihnen das zuwenig, oder sind die an den falschen Stellen?

Beides. Zudem sind 30 Prozent davon kombinierte Fuß- und Radwege — der größte Blödsinn überhaupt. Damit das Auto freie Fahrt hat, werden die schwächsten Verkehrsteilnehmer, Fußgänger und Radfahrer, auf möglichst engem Raum aufeinandergehetzt. Die Konflikte, zu denen das führt, sind bekannt. Radfahrer gehören auf die Fahrbahn: Deutlich markierte und ausreichend breite Radfahrstreifen, das zeigt auch das Beispiel aus vielen anderen Städten, sind die beste und sicherste Lösung für alle. Deshalb ist dies auch eine der zentralen Forderungen des ADFC.

Es gibt inzwischen 100 Bike&Ride- Plätze an Bahnhöfen, es gibt seit dem Frühjahr die kostenlose Fahrradmitnahme in U- und S-Bahnen. Hat in Verkehrsbehörde und HVV das von Ihnen geforderte Umdenken bereits begonnen?

Das sind lobenswerte Ansätze, mehr nicht. Das Problem ist doch, das Rad auf den Bahnsteig und in den Zug zu bekommen. Da fehlen Rampen, Rolltreppen und Fahrstühle. Und es fehlen in den Zügen entsprechende Abteile. Schon mit einem Rad im Einstiegsbereich der Züge sind Konflikte programmiert, mit den erlaubten zwei Rädern erst recht. Und die Sperrzeiten während des Berufsverkehrs sind auch nicht der Weisheit letzter Schluß.

Der Senat hat ein Konzept zur Förderung des Fahrradfahrens angekündigt. Was erwarten Sie sich davon?

Das sollte schon vor einem halben Jahr fertig sein, wir hoffen, daß das dieses Jahr noch etwas wird. Und wir hoffen natürlich, daß unsere zentralen Forderungen berücksichtigt werden. Nicht nur mit schönen Worten, sondern auch mit klaren Aussagen und Zahlen: Soundsoviel Kilometer neue Radfahrstreifen pro Jahr, soundsoviel Geld für Fahrbahnverengungen, mehr Abstellanlagen und neue Tempo-30-Zonen ...

Sollen die auch für Radfahrer gelten?

Naja. Meinetwegen auch für Radfahrer.

Das Gespräch führten Claudia Hönck und Sven-Michael Veit

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen