Manchmal darf es auch ein bißchen mehr Fleisch sein

■ Aus der Not geborene Tugend gebiert Ungeheuer: Die Berliner Kunst- und Schwermetallband Fleischmann spielt im Tacheles

Mal im Ernst, brauchen junge Rockfans zwanzig Jahre nach King Crimson, Mahavishnu oder Nice ausgerechnet eine Instrumentalband zum Glücklichsein? Genau. Normalerweise mutmaßt man doch beim stimmlosen Spiel eine verknarzte und intellektuelle Verbrämung, die einfach nur darüber hinwegtäuschen soll, daß keines der Gruppenmitglieder singen kann. Sonst würden sie es ja tun. Ein Mißverständnis, was da heißt: Instrumental gleich nicht musikalisch genug. Unecht. Wer aus der Not eine Tugend macht, gebiert eben Ungeheuer. Sonic Youth haben schließlich auch erst ihr Stammpublikum unter Indies und Studies gefunden, als sie vom nervenzehrenden Branca-Gitarrengefledder ohne viele Worte zu den lyrischen Schlampen- und Collegeboyergüssen auf Erfahrungsbasis fanden. Noch immer verspricht die Stimme Identifizierung, Verbindlichkeit und Nähe. Hauptsache, da spricht jemand. Die Stimme bleibt das Phänomen, wenn man sich vom Text der menschenleeren Bücher erholen will.

Fleischmann definieren gerade Textualität über Musik. Das klingt zunächst einmal doppelt verboten. Aber ähnlich wie die Haut in den achtziger Jahren, schafft es das Trio, eine Sprache auf schwerer Rockbasis zu entwickeln, die nicht von der ihr übergeordneten Bedeutung lebt. Bei der Haut waren es Verweise auf imaginäre Filmmythen, die Bilder von Fleischmann bleiben abstrakt, wie im bezeichnenden (oder bezeichneten?) Titel »Ordnung der Dinge«. Natürlich sind sie nicht ganz von Gefühlen frei, erinnern sich gerne an den »Seewolf« oder skizzieren mit Bleistift (Metal bleibt Metal) das nicht sehr schöne Neukölln im Song »44«. Nur sieht man nie etwas von den Motiven außer den Namen der Lieder. Nirgends traurige Tagebucheintragungen, die aus dem Klangwust zur Botschaft erwachsen; und auch keine Merksätze im Refrain, die einem dann in den unmöglichsten Augenblicken wieder in den Kopf kommen, so wie »I should be so lucky« von Kylie Minogue beim Verfassen dieser Zeilen.

Statt dessen ist die Musik von Fleischmann sehr nahe an einer Vorstellung von Gestaltung, die ohne summbare Abbilder auskommt. Tonale Ketten verweisen auf ihr Zusammenwirken, Breaks bleiben selbstreferentiell Breaks, ohne stimmungssteigernden oder dramatischen Gegenwert. Trocken, möchte man sagen, aber da sei das besagte Plateau des Hard Rock vor, dessen sich die Band bedient. Kein Taktschlag, der nicht wie eine Löwenpranke auf das Trommelfell fällt, kein Gitarrenlauf, der nicht im verzückten Inferno der geheiligten Obertonreihen enden wollte.

Bleibt nur der echt unmoderne Bandname, der düster an Döblin und Hinterhof-Biberköpfe erinnert. Es kann nun einmal nicht jede Band so blutleer Nirvana heißen. Manchmal darf es auch ein bißchen mehr Fleisch sein. Harald Fricke

»Fleischmann« spielen heute um 22 Uhr im Theatersaal des Tacheles, Oranienburger Straße 53-56, Mitte.