Wir waren Kinder unserer Zeit

■ Der St. Petersburger Bildhauer Mark Kruppa über den Sinn und Unsinn von Denkmalstürmerei

Mark Kruppa, ein russischer Jude, wurde 1941 in Leningrad geboren, wo er eine für sowjetische Verhältnisse „normale“ Bildhauerkarriere machte und Mitglied des sowjetischen Künstlerverbandes war. Seit einem halben Jahr lebt er in Westberlin, wohin er angesichts des anwachsenden Antisemitismus in St. Petersburg emigrierte.

taz: Sie haben das ganze Leben in Leningrad, inzwischen St. Petersburg, als Bildhauer gearbeit. Welche Skulpturen sind dabei entstanden?

Mark Kruppa: Ich habe verschiedene Reliefs und runde Steinfiguren gemacht. Meist waren das Ausschmückungen für öffentliche Gebäude. Denn die einzige Möglichkeit für die Künstler in der UdSSR war ja, auf Bestellung des Staates zu arbeiten.

Konkret?

Eine meiner ersten Arbeiten war ein drei Meter hohes Relief auf dem Pakaroninja-Prospekt in Leningrad. Das ist der Weg hin zum Friedhof. Da ging es um die Leningrader Blockade. Diesen Weg entlang wurden Menschen weggeschleppt, die während der Blockade gestorben waren.

Mußte nicht jeder Künstler in der UdSSR auch irgendwann einmal ein Lenin-Denkmal oder eine Büste von ihm herstellen?

Daß jeder einmal solche Sachen herstellte, lag daran, daß das offizielle Bestellungen waren. Die Bestellungen kamen ja alle vom Staat, und der propagierte die Idee des großen Führers. Und so mußten sich die Künstler, ob sie wollten oder nicht, damit beschäftigen, das war ihre Arbeit, ihr Beruf. Dafür wurden sie bezahlt, ich sehe darin eigentlich nichts Schlechtes. Alles hängt davon ab, wie du deine Arbeit machst. Bei einer Skulptur ist es ja nicht wichtig, was du darstellst, sondern wie.

Was für einen symbolischen Führer mußten Sie darstellen?

Ich habe einmal eine Thälmann- Skulptur entworfen. Das war meine Diplomarbeit. Damals war wohl irgend so ein Jahrestag. Mein Thema war der Charakter dieses Menschen.

Und was wollten Sie den Leuten damals über Thälmann vermitteln?

Thälmann war für mich vor allem eine romantische Figur. Und wir waren junge Leute mit romantischen Ideen, eben Kinder unserer Zeit und Gesellschaft, die uns erzogen hatte. Thälmann, wenn man sich seine Fotografien anschaut, war wirklich eine ausdrucksvolle Figur. Er ist plastisch sehr interessant, mit der Halbglatze und diesem dicken Körper. Ich wollte mit der Skulptur Kraft, Dynamik und Fortschritt ausdrücken. Einerseits war er doch ein wunderbarer Redner und gleichzeitig auch eine tragische Figur, weil er umgebracht wurde.

Ein Symbol?

Ja, natürlich, Skulpturen sind immer symbolische Formen. Und je mehr sie sich vom realen Leben entfernen, desto ausdrucksvoller sind sie.

Was halten Sie von den Lenin- Denkmälern, die zuhauf in allen großen russischen Städten stehen?

Das sind meist ziemlich uninteressante Gebilde, wenn man sich die Ausführung ansieht. Die sehen sich alle ziemlich ähnlich. Diese Denkmäler sollten die Macht des Staates vergrößern, sie in den Augen des Volkes attraktiv machen. Andererseits wurde Kunst, die auch Konflikte in der Gesellschaft aufzeigte, unterdrückt. Die offizielle Kunst ist uninteressant, weil sie gefallen will.

Dennoch haben Sie vorhin gesagt, man konnte auch hier eigene Anschauungen transportieren?

Zweifellos, natürlich — obwohl, bei der späteren sowjetischen Kunst weiß ich nicht so recht. Wir hatten zwar keine besonderen Begrenzungen, aber den Zensor in unseren Köpfen.

Inzwischen hat jetzt auch die Demontage der Denkmäler in St. Petersburg begonnen. Was fühlen Sie, wenn Sie das mitansehen müssen?

Die Denkmäler zu vernichten, das halte ich für Vandalismus. Man muß sie stehen lassen, denn sie sind ja ein Teil ihrer Zeit. Es gab ja diese Epoche, die kann man doch nicht einfach ausstreichen. Man könnte natürlich auch spezielle Museen schaffen. Aber ich denke, die Denkmäler müssen auf den Plätzen bleiben, für die sie gemacht wurden.

Und was haben Sie gedacht, als Sie sahen, wie die Leute in Moskau Dserschinski vom Sockel holten?

Ehrlich gesagt, da habe ich mich gefreut. Das war ein unmögliches Denkmal. Da habe ich eine herrliche Freude gefühlt. Besonders als sie ihn aufgehängt haben. Alle diese offiziellen Denkmäler sind ohne Seele.

Aber die Künstler waren doch Ihre Kollegen.

Höchstens dem Namen nach. Sie haben all die anderen freidenkenden Leute unterdrückt. Das war eine Mafia, verstehen Sie, die niemanden an den Futtertrog gelassen hat. Sie hatten die Macht auf ihrer Seite und alle Möglichkeiten. Die wollten sie natürlich nicht teilen. Und als im Fernsehen dann gezeigt wurde, wie Dscherschinski am Seil hing, das war einfach wunderbar. Es ging dabei nicht um Dscherschinski selbst. Er war ein Symbol der Zeit, von der wir Abschied nehmen. Ein Ereignis.

Wie könnte das Problem der Denkmäler in St. Petersburg gelöst werden?

Man könnte sie einfach dort lassen, wo sie sind, mit entsprechenden Kommentaren. Die neuen Denkmäler würde ich einfach daneben stellen. Interview: Birgit Ziegenhagen