Ungarns Rechte will mehr „Lebensraum“

Der stellvertretende Vorsitzende der ungarischen Regierungspartei MDF, Istvan Csurka, fordert eine Revision der Grenzen in Mitteleuropa/ Demonstration vor dem „Hort des Weltjudentums“  ■ Aus Budapest Roland Hofwiler

Sie nennen sich die „Radikale Rechte“. Ihr Führer heißt Istvan Csurka. Ihr Ziel: „Schaffung eines neuen ungarischen Lebensraumes“ und die bewußte Infragestellung der bestehenden Grenzen in Südosteuropa. Jeder der gegen ihr Programm Stellung bezieht, wird als „Kommunist“, „Weltjude“ oder „Vaterlandsverräter“ diffamiert. So zuletzt am vergangenen Samstag, als Zehntausende dieser Nationalisten in der Budapester Innenstadt vor das ungarische Fernseh- und Radiogebäude, „dem Hort des Weltjudentums“, zogen. Zwar hatte es bereits in den vergangenen Monaten immer wieder „Veranstaltungen“ der „Radikalen Rechten“ gegeben. Doch dabei waren meist nur ein paar hundert, in manchen Provinzstädten auch schon einmal bis zu 5.000 Teilnehmer zusammengekommen. Diesmal brachte Csurka in Budapest zwischen 15.000 (Polizeiangaben) und 80.000 Menschen (so die Veranstalter) auf die Beine. Und das, obwohl es eigentlich gar keinen aktuellen Anlaß für die Demonstration gegeben hatte. Die Forderung nach dem Rücktritt von Fernsehdirektor Elemer Hankiss und Radiochef Csaba Gombar sind nicht neu, ihre Warnung vor einer Ausbreitung des „zerstörerischen Nationalismus in Mitteleuropa“, liegt den Rechten schon lange im Magen. So hatte Csurka in seinen Radioprogrammen die Position der beiden aus „New York, Paris und Tel Aviv ferngesteuerten Agenten“ als „Verschwörung gegen das Ungarntum“ bezeichnet und ihnen vorgeworfen eine „Weltherrschaft des Liberalismus“ errichten zu wollen.

Wer aber ist nun dieser Istvan Csurka? Kein geringerer, als der stellvertretende Vorsitzende der ungarischen Regierungspartei, dem „Ungarischen Demokratischen Forum“ (MDF). Glaubt man dem liberalen MDF-Flügel um Jozsef Debreczeni und Csaba Kiss, so stehen hinter Csurka derzeit 70 Prozent der MDF-Wähler, nur 30 Prozent unterstützen dagegen den christdemokratisch orientierten MDF-Vorsitzenden und ungarischen Regierungschef Jozsef Antall.

Csurka, ein wortgewaltiger Schriftsteller der mittleren Generation, gibt im Gespräch offen zu, was ihm am heutigen Europa mißfällt: „Das den Ungarn angetane historische Unrecht wird nicht gesühnt.“ Der 58jährige holt dabei weit aus, er geht zurück bis zu den Verträgen von Trianon: 1920 war auf einer Friedenskonferenz bei Paris festgelegt worden, daß die Völker im östlichen Teil der Habsburger-Monarchie eigene Nationalstaaten zugestanden bekommen — auf Kosten Ungarns. Von einem Tag auf den anderen wurden etwa vier Millionen Magyaren zu Minderheiten in der Slowakei, in Jugoslawien, in Rumänien und der Karpatho-Ukraine. Da nun jedoch Jugoslawien nicht mehr existiere, da Kroatien wie Serbien auf ihre „historischen Grenzen“ von 1919 pochen würden, da sich die Slowakei von Prag abspalte, da die ehemalige Bukowina, die sogenannte Sowjetrepublik Moldawien, sich an Rumänien anzuschließen gedenke, hätten auch die Ungarn das Recht, territoriale Forderungen zu stellen.

Csurka in einem Grundsatzreferat in seiner Wochenschrift Magyar Forum vom 20. August: „Im Jahre 1995 läuft der Vertrag von Jalta aus. Die neue Situation bringt für das Ungarntum neue Gefahren und die Möglichkeit, einen neuen ungarischen Lebensraum zu schaffen“. Wenngleich der „Lebensraum-Gedanke“ nicht immer so radikal und mit faschistoiden Begriffen formuliert wird wie bei der „Radikalen Rechten“, so geistert er mittlerweile in allen Gesellschaftsschichten Ungarns herum. Einen schweren Stand haben dagegen jene Politiker, die die Idee von einem Europa ohne nationalstaatliche Grenzen, vertreten. Csaba Gombar, Direktor des ungarischen Rundfunks: „Umringt von Nationalisten, konfrontiert mit dem Krieg in Jugoslawien, ist es nur eine Frage der Zeit, bis militante Nationalisten auch hier das Sagen haben.“ Bisher konnte sich Gombar jedoch gegen Csurka durchsetzen. Dessen sonntägliche „Literatursendung“ ließ er kurzerhand absetzen, da sie „Haß und Chauvenismus“ propagierte.

Meinungsumfragen zufolge ist die „Radikale Rechte“ im Vormarsch: Antalls Position wird immer schwächer, die oppositionellen Parteien, einst von mitteleuropäisch orientierten Dissidenten gegründet, verlieren an Wählergunst. Pessimisten prophezeien sogar, daß Csurka Antall als Parteivorsitzenden der MDF ablösen könnte, wenn der Krieg in Jugoslawien direkt auf die ungarisch besiedelte Vojvodina übergreifen, die Spannungen zwischen Slowaken und Ungarn zunehmen oder es zu pogromartigen Zwischenfällen zwischen Rumänen und Ungarn im heutigen Siebenbürgen kommen sollte. Direktor Gombar: „Europa hat für all die Probleme, die sich in Südost- und Mitteleuropa zusammenbrauen, keine Lösung.