Rettungsversuch für einen Torso

■ Die Beruhigung an den europäischen Devisenmärkten trügt — die EWS-Krise schwelt weiter

Das Signal aus Frankreich kam gerade rechtzeitig. Nach dem einwöchigen Chaos haben sich die europäischen Devisenmärkte gestern wieder etwas beruhigt. Nach dem knappen französischen „Oui“ zu den Maastrichter Verträgen ist für die Devisenhändler das Schlimmste erst einmal vorbei. Mit der faktischen Abwertung der italienischen Lira um rund 10 Prozent und des britischen Pfundes, die am Donnerstag vorübergehend aus dem Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems (EWS) ausgeschert waren, sei der größte Druck verpufft. Die ersten Kursnotierungen in Frankfurt scheinen ihnen recht zu geben: Die italienische Lira legte gestern mit 1,1910 Mark (1.000 L.) wieder leicht zu, der französische Franc blieb gegenüber der Notierung vom Freitag mit 29,235 Mark (100 Frc.) unverändert, die anderen Währungen konnten sogar leichte Kursgewinne verbuchen. Lediglich das britische Pfund, nun wieder unter EWS-Fittichen, setzte seine Talfahrt mit 2,5510 fort und erreichte ein neues Rekordtief — die Geldhändler erwarten, daß die britischen Leitzinsen von 10 Prozent wegen der tiefen Rezession im Land bald gesenkt werden. Doch auch wenn sich die Devisenkurse vorerst wieder eingependelt haben, die schwere EWS-Krise ist damit noch längst nicht vorbei. Finanzexperten glauben, daß es mit dem Wechselkurssystem bald zu Ende gehen dürfte, wenn der Franc Opfer der Devisenspekulation werden sollte. Gerät die französische Währung unter Druck, könnte sie nur durch eine weitere Senkung der deutschen Leitzinsen oder eine Aufwertung der D-Mark vor einem Sturz gerettet werden. Doch die ist nicht in Sicht, und die Banque de France will ihre Geldpolitik lockern. Die Bewährungsprobe für das EWS geht weiter, schon jetzt werden Stimmen laut, alle Währungen vorübergehend frei schwanken zu lassen, um zu realistischen Wechselkursen zu kommen. Und im Gegensatz zu den Regierungen halten die meisten Geldprofis die Maastrichter Verträge auch nach dem französischen Referendum in der jetzigen Form für tot. Alles wartet also gespannt auf den EG-Sondergipfel im Oktober. Erwin Single