„Con-chi-ta“ — „Lo-li-ta“!

■ Der Buchhändler Vincenzo Orlando, die schönen Bücher und „Das obskure Objekt der Begierde“ von Pierre Louys

Lange nach sechs Uhr abends steht die Tür zu Vincenzo Orlandos Buchladen am Bremer Contrescarpe noch weit geöffnet, so, als dürfte ein wahrer Buchhändler nicht aufhören, die Menschen in die Bücherwelt zu locken. Orlando, 53 Jahre alt, mit Bärtchen und gemustertem Halstuch, ist seit vielen Jahren freundlich in Bremen eingemeindeter Italiener, und sicherlich ein „wahrer“ Buchhändler.

Wer seinen Laden betritt, in dessen Schaufenster Portraits von Walter Benjamin, und — rührend unzeitgemäß — Hermann Hesse hängen, findet sich wieder in einer ungewöhnlichen Mischsphäre von privater Bibliothek und weltoffener Büchergelassenheit. Wer sich zwischen der großzügig ausgebreiten Literatur neugierig verliert, der kommt nicht umhin, vom Buchhändler in ein literarisches Gespräch gezogen zu werden.

Über den widerspenstigen Holzknaben Pinocchio zum Beispiel, zu dessen 100. Geburtstag Orlando Vorträge und Lesungen gehalten hat und den er liebt, weil Pinocchio dem „Mangia fuoco“, dem gefährlichen Feuerschlucker, Tränen hatte entlocken können. Oder über Ingeborg Bachmann, deren Gedichte über Italien er auswendig kann. Oder sicherlich über seine eigene kleine autobiographische Erzählung „Carbonara für 300 Personen“, die 1991 im Bremer Verlag Wassmann erschienen ist und auf dem Tresen ausliegt.

Es ist schön, Zeit zu haben in diesem Buchladen. Es ist leicht, sich auf Vincenzo Orlandos italienisch-weiche Beredsamkeit einzulassen, ihm zu den Bücherborden zu folgen, aus denen er immer wieder ein Buch herausnimmt, um daraus vorzulesen. Und — es ist spannend, von einer kleinen literarischen Sensation zu hören...!

In diesem Oktober nämlich wird - als erste Ausgabe der „Edition Orlando“ — der in Deutschland seit den 50er Jahren vergriffene Roman „Das obskure Objekt der Begierde“ des Franzosen Pierre Louys erscheinen. In einer neuen Übersetzung und einer feinen bibliophilen Ausgabe.

Pierre Louys (1870-1925), ein naher Freund und Zeitgenosse von Andre Gide und Paul Vallery, gilt in Frankreich als einer der Erneuerer moderner erotischer Literatur. „Ich liebe diesen Roman schon seit meiner Kindheit“, sagt Orlando, „Französische Literatur durfte ich nämlich unzensiert lesen, und Pierre Louys war sozusagen mein sexueller Frühaufklärer. Ich habe schöne Stunden mit ihm verbracht.“

Sieben mal wurde „Das obskure Objekt der Begierde“ schon verfilmt. Marlene Dietrich, Brigitte Bardot, Angela Molina, sie alle waren schon einmal „Conchita“, eine junge spanische Tänzerin, die „Don Mateo“ lockt und zurückweist und ihn in seinen eifersüchtigen Wahnsinn treibt.

„Conchita steht zwischen 'femme fatale' und 'femme fragile' „, meint Vincenzo Orlando. „Kennen Sie 'Carmen', von Mallarme? Pierre Louys' Roman ist eine neue Carmen. Kennen Sie 'Lolita' von Narbokov? Hören Sie mal: Con-chi-ta — Lo-li-ta! Es ist in beiden Büchern dieselbe Art, wie die älteren Liebhaber den Kosenamen ihrer Geliebten bilden.“

Orlando weiß den Text von „Das obskure Objekt der Begierde“ fast Wort für Wort. Hundert mal ist er ihn mit seinem Übersetzer Gustave Gombert durchgegangen. „Eigentlich heißt der Titel genau übersetzt: Die Frau und der Hampelmann. Das gefällt mir aber gar nicht.“ Orlando dreht das erste und vorläufig einzige Probeexemplar des Romans in den Händen. „Don Mateo ist vielleicht Opfer, wenn Conchita ihn narrt, er ist vielleicht Täter, wenn er Conchita schlägt, aber er ist kein Hampelmann! Deshalb habe ich den Titel genommen, den Bunuel für seine Verfilmung gewählt hatte.“

Jetzt fehlt nur noch der letzte Schliff an Orlandos Nachwort, und dann kann im Oktober „Das obskure Objekt der Begierde“ in der Bremer Druckerei Ulrich Seutter gesetzt werden. Bremen wird um einen kleinen bibliophilen Verlag reicher sein. Und um ein obskures Objekt der Begierde.

Cornelia Kurth