»Ein jämmerliches Spiel Tag für Tag«

■ Gericht verurteilt 30jährigen Süchtigen wegen Heroinerwerbs und Autoaufbrüchen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe/ Angeklagter hatte Therapieplatz, aber der Richter hob den Haftbefehl nicht auf

Moabit. Der Prozeß vor der 8. Strafkammer des Landgerichts ist eine weitere Station in der Drogenkarriere des 30jährigen Stefan V. Um seine tägliche Ration Heroin zu finanzieren, hat der Angeklagte Autos aufgebrochen und meist Radios und Sonnenbrillen gestohlen, wie er selber gestand. Das Gericht hat den Süchtigen in acht von 15 ursprünglich angezeigten Autoaufbrüchen sowie des Heroinerwerbs zum Eigenbedarf für schuldig befunden und zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Hinzu kommt der Widerruf einer Strafe von acht Monaten, die das Amtsgericht Tiergarten wegen des »fortgesetzten Erwerbs« von Heroin im April dieses Jahres für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt hatte.

»Körperlich hatte ich in den vierzehn Tagen Untersuchungshaft im April noch nicht ganz entzogen«, sagte der Angeklagte am Dienstag vor der 8. Strafkammer, »da war ich schon wieder auf der Szene.« Kaum entlassen, setzte er sich den nächsten Schuß, und die Sucht bestimmte wieder sein Leben: Heroin »drücken und das Geld dafür beschaffen« — rund 200 Mark habe er für sein tägliches Gramm auftreiben müssen. Der Teufelskreislauf endete, als er am 1. Juni auf frischer Tat bei einem Autoeinbruch ertappt wurde.

Seit zwölf Jahren hängt der gelernte Konditor an der Nadel. Mit Freunden hat er seinen ersten Joint geraucht: »Durch den Haschischkonsum habe ich immer weniger Lust zum Arbeiten gehabt.« Bald habe er Kontakt zu einer Clique bekommen, »in der Leute harte Sachen drückten«. Zunächst habe er sich immer nur am Wochenende einen Schuß gesetzt, dann steigerte er die Dosierung.

Der Freundin, mit der er sieben Jahre zusammengelebt habe, verheimlichte er den Heroinkonsum. Als sie es merkte, habe sie ihn vor die Alternative gestellt: »Entweder die Drogen oder ich.« Er entschied sich für eine Therapie, die Freundin verließ ihn trotzdem. Dennoch schloß er die Therapie 1989 erfolgreich ab, arbeitete danach in einem Versandhaus. 1990 unternahm er eine Reise nach Zürich, dort beobachtete er eine Fixerin, die gerade ihren Stoff aufkochte: »Da konnte ich nicht mehr.« Zwei weitere erfolglose Therapien unternahm er seitdem.

Auf den Zuhörerbänken lauschte eine Schulklasse dem Lebenslauf des Angeklagten. Richter Ulrich Welke nutzte die Gelegenheit, um seiner Ansicht nach ein aufklärendes Wort an die Schüler zu richten: »Sie hören hier, daß der Haschischkonsum nicht so ungefährlich ist, wie es in der Literatur oft beschrieben wird. Er führt zu Kriminalität und harten Drogen.« Einige Schüler lächelten, andere sahen betreten zu Boden.

»Ein jämmerliches Spiel mußte er Tag für Tag aufführen«, sagte der Verteidiger in seinem Plädoyer. Im Mai sei der Angeklagte jeden Morgen mit einem turkey aufgewacht. Die Befriedigung der Sucht stand im Vordergrund. Stefan V. habe aber aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und sei besonders motiviert für eine Therapie, da er »seinem Leben neuen Sinn geben wolle.« Der Verteidiger beantragte, den Haftbefehl aufzuheben, damit der Angeklagte einen ihm angebotenen Therapieplatz einnehmen könne. Dies sei geboten, da es lange Wartezeiten für eine Therapie gebe.

Richter Ulrich Welke lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Bewährungsstrafe lasse das nicht zu. Zudem bestehe Fluchtgefahr, die durch eine Therapie nicht gemindert werden könne, zumal der Angeklagte bereits eine solche abgebrochen habe. Strafmildernd wirke sich aus, so der Richter, daß Stefan V. aus »Angst vor dem Entzug« Diebeszüge unternommen habe, um das Geld für den Stoff aufzutreiben. Und da das Urteil im April keine Warnung gewesen sei, legte der Richter zu Lasten des Angeklagten aus, daß er sich direkt nach der Untersuchungshaft, »wieder mit der besonders gefährlichen Droge Heroin abgegeben habe«. Ralf Knüfer