■ Mit einem Gotteshäuschen gegen eine Mülldeponie
: Wunder gibt es immer wieder

Wunder gibt es immer wieder

Inchenhofen (taz) — Es geschah in der Nacht des 1. Mai dieses Jahres in der 2.030 Seelen zählenden Gemeinde Inchenhofen im Landkreis Aichach-Friedberg. Im Schutz der Dunkelheit war draußen im Roßmoos, dort wo eine umstrittene Reststoffdeponie für die Schlacken aus der Augsburger Müllverbrennung entstehen soll, etwas ganz anderes entstanden: eine richtige Kapelle. „Des is a Wunder“, hieß es am nächsten Tag im Dorf. Seither pilgern unzählige Einheimische und Fremde hinaus ins Roßmoos. Was sie zu sehen bekommen, ist viereinhalb Meter lang, vier Meter hoch, fast drei Meter breit und 40 Tonnen schwer. 50 bis 60 Mannsbilder — und, wie man hört, auch einige Frauen — sollen in der Freinacht geschuftet haben. „Bis in der Früh um halb fünf ging's da hoch her“, berichtet ein elfjähriger Junge, der nachts aufgewacht ist und rausgeschaut hat. „LKWs und sogar 's Feuerwehrauto waren da.“

Inzwischen ist in Inchenhofen, dem drittgrößten Wallfahrtsort Bayerns, schon wieder etwas Ungewöhnliches passiert, wie Franz Binzer von der Bürgerinitiative gegen die Reststoffdeponie berichtet. „Da haben eines Tages, oder besser gesagt eines Nachts, hohe kirchliche Würdenträger diese Kapelle geweiht. Jetzt ist sie ein richtiges kleines Gotteshaus.“ Eine große Prozession am vergangenen Wochenende wurde vom bischöflichen Ordinariat in Augsburg schärfstens mißbilligt, ebenso die heimliche Weihe. Schließlich wurde von der Augsburger Diözese der Protestkapelle eine Weihe versagt, weil es sich nicht „um einen Platz der Gottesverehrung, sondern der politischen Auseinandersetzung handelt“. Der Pressesprecher des Bistums, Stephan Baier, bezeichnet die Vorgänge als eine Ungeheuerlichkeit, die dem Kirchenrecht widerspreche. Solange nicht Zeugen benannt würden, die diese Weihe miterlebt haben, gehe die Diözese davon aus, daß die Kapelle nicht geweiht ist.

Die Inchenhofener schert das wenig. Die strenggläubigen Katholiken im Ort sind überzeugt davon, daß es stimmt, was ihnen Franz Binzer versichert hat. Und auch der Ortsgeistliche German Fischer, der die Weihe ebenfalls verurteilt, hält es durchaus für möglich, daß dies doch geschehen ist. „Das ist äußerst mysteriös, das ist so geheimnisvoll, daß man eigentlich nur den Kopf schütteln kann“, sagt der Pfarrer, dem verboten wurde, die Bittprozession zu leiten. „Selbst wenn es ein Kardinal gewesen wäre, der die Kapelle geweiht hat, er hätte kein Recht gehabt, so etwas zu tun.“ Franz Binzer kontert freilich: „Gott sei Dank gibt es in der katholischen Kirche noch Persönlchkeiten, die den Herrgott vor die Politik stellen. Ich darf jedenfalls nicht sagen, wer die Kapelle geweiht hat. Fest steht, sie ist geweiht worden, und die näheren Umstände, die gehen in die vielen Geheimnisse dieser Kapelle ein.“

Der Inchenhofener Männerchor hat der Kapelle mit dem „Sonnengesang“ von Franziskus die Ehre erwiesen, und die zahlreichen Dorfbewohner, die bei der Prozession dabeiwaren, sind absolut überzeugt, daß niemand an den Schwarzbau, an ihr „Wunder von Inchenhofen“, jemals Hand anlegen wird. Niemand, das ist für sie kein anderer als der Aichacher Landrat Theo Körner, der in einer Zwickmühle steckt. Er ist selbst ein Sohn Inchenhofens, doch seit den Protestaktionen gegen die Schlackendeponie kommt er kaum noch in sein Heimatdorf. „Was da an Dunklem dahintersteckt, kann ich nicht bewerten“, sagt der Landkreischef. Das sei auch eine kirchliche Angelegenheit. Er sei für die staatsrechtlichen Dinge zuständig, als Chef der untersten Baubehörde. Als solcher müsse er feststellen, daß die Kapelle nach wie vor ein Schwarzbau ist. „Es ist zu prüfen, ob dieser Schwarzbau so bestehenbleiben kann.“ Diese Prüfung zieht sich freilich schon seit vier Monaten hin, und sie wird sich noch länger hinziehen. Als Grund dafür nennt der Landrat einen personellen Wechsel in der Bauabteilung. Daß er, wie bei der letzten Wahl, wieder mehr als 90 Prozent der Stimmen aus seinem Heimatdorf bekommt, daran glaubt Theo Körner selbst nicht mehr.

Der Bürgermeister von Inchenhofen, Bernhard Kaltenstadler (CSU), ist von seinen Bürgern zum Befürworter der Kapelle „bekehrt“ worden. Besonders fröhlich klingt er nicht, wenn er mit Blick auf das Kirchlein im Roßmoos, umringt von Transparenten gegen die Deponie, sagt: „Diese Kapelle ist eine großartige Leistung, die zeigt, mit welcher Entschlossenheit die Bürger bestrebt sind, den Deponiestandort hier zu verhindern.“ Im Kreistag hat er gegen seinen Parteifreund Theo Körner keinen leichten Stand.

Doch von den allenthalben zu hörenden Vorwürfen, die Inchenhofener würden nur nach dem Sankt- Florians-Prinzip handeln und die typisch bayerischen Gepflogenheiten im Hinblick auf den Glauben ausnützen, will im Ort niemand etwas hören. Schließlich bemühe man sich seit Jahren, durch Mülltrennung den Müllberg zu verringern. Klaus Wittmann