piwik no script img

Fünf Tage Galgenfrist für Collor

Brasilianisches Verfassungsgericht beendet Rechtsstreit: Die Abstimmung über die Amtsenthebung des Präsidenten Collor ist öffentlich/ Brasilianische Opposition fiebert der Abstimmung entgegen  ■ Aus Rio Astrid Prange

Brasiliens Oberstes Verfassungsgericht (STF) hat demokratisches Verständnis bewiesen. Seit Mittwochnacht sind die Chancen für Präsident Fernando Collor de Mello gesunken, das gegen ihn angestrengte Amtsenthebungsverfahren zu überstehen. Die Richter bestätigten die Auffassung der Parlaments, daß die bevorstehende Abstimmung namentlich und offen verlaufen muß und verweigerten dem Präsidenten eine Verlängerung seiner Verteidigungsfrist.

Das Urteil der Verfassungshüter bedeutet für Präsident Collor eine doppelte Niederlage. Zum einen hat sich die juristische Verzögerungstaktik als erfolglos erwiesen. Die Richter, die bereits in der vergangenen Woche die Verteidigungsfrist des Präsidenten um fünf Sitzungen verlängert hatten, gewährten dem Staatsoberhaupt keinen neuen Aufschub mehr. Wenn der Zeitplan eingehalten wird, findet die entscheidende Abstimmung im brasilianischen Parlament in der nächsten Woche statt, und das heißt, vor den Gemeindewahlen am 3.Oktober. Die Abstimmung, die live im brasilianischen Fernsehen übertragen wird, zwingt die Abgeordneten dazu, vor ihren Wählern Farbe zu bekennen.

„Wer jetzt noch gegen das Impeachment von Collor stimmt, gilt in der Öffentlichkeit entweder als korrupt oder gekauft“, kommentiert ein der Regierung nahestehender Parlamentarier. Aber noch haben die Anhänger Collors nicht aufgegeben. Der Abgeordnete Roberto Jefferson rät zur Flucht nach vorn: „Der Präsident muß seine Minister auswechseln, um zu zeigen, daß er noch regiert.“ Jefferson kündigte eine neue Strategie des 42jährigen Staatsoberhauptes an. „Wir werden alle Abgeordneten nach Hause schicken, damit kein Quorum zustande kommt“, erklärte er.

Dem sieht die Opposition gelassen entgegen. Das Urteil der Verfassungsrichter löste Begeisterung aus. „Die Mauer der Unentschlossenheit ist eingestürzt. Das Impeachment wird ohne Probleme über die Bühne gehen,“ triumphiert Sozialdemokrat Miro Teixeira. Damit Präsident Collor seines Amtes enthoben wird, müssen zwei Drittel der 503 Parlamentarier für das Impeachment stimmen.

„Die Entscheidung des Verfassungsgerichts festigt die Demokratie und unterstützt den Kampf gegen die mangelnde politische Ethik in dieser Republik. Sie gibt dem Volk die Hoffnung auf bessere Zeiten zurück“, meint Abreu Sodre, ehemaliger Gouverneur des Bundesstaates Sao Paulo. Abgeordneter Ibsen Pinheiro, Vorsitzender des Parlamentsausschusses, der in der nächsten Woche den Antrag auf Amtsenthebung Collors dem Plenum vorlegt, ist ebenfalls optimistisch: „Bis Mittwoch ist der Prozess erledigt“, kündigte er an.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen