Heute ab nach Kassel...

■ Bitte zurücklehnen

Hier haben wir einige der spannendsten Museen Europas, die zurückgehen auf die naturwissenschaftliche und künstlerische Sammlung der ambitionierten Landgrafen, und wir haben die weltweit bedeutendste Ausstellung moderner Kunst. Na und? Wir haben den größten Bergpark Europas und mit der Karlsaue den größten deutschen Barockgarten, der so groß ist wie das Fürstentum Monaco. Schließlich haben wir seit 250 Jahren den Herkules...“

Die Ansprache schließt mit den echt kasseläner Worten: „Mä honns, mä kunns. Wir haben es und wir können es.“

Das sind forsche Töne aus einer Stadt, die neben der Documenta in den vergangenen Jahrzehnten vor allem durch ihre abgeschiedene nordhessische „Zonenrandlage“ auffiel. Ein neues Selbstbewußtsein? Ein neuer Städteführer — des Kasseläners Selbstdarstellung folgen auf knapp hundert Seiten ausgewählte Tourenbeschreibungen und ein umfangreicher Service für Besucher. Es ist der erste einer auf vierzig Bände angelegten neuen Reihe kleiner Städteführer mit dem sinnigen Konzept „Städte entdecken mit Bus und Bahn“. Die Reihe ist nicht unmittelbar für die Bedürfnisse „sanfter Touristen“ produziert, wenngleich mit dem Konzept auf simple Weise tourismuskritische Forderungen an ein verändertes Reiseverhalten umgesetzt werden. Sie liegt im Trend der Zeit, in einer etwas losen Sprache, mit einer ansprechenden farbigen Aufmachung und einschlägigen Tips, einen neuen Typus des Städtetouristen zu bedienen, der vergnügungsbeflissen auf kulturelle Highlights aus ist. Der Inhalt allerdings ist kompakt und informativ, die Tourenbeschreibungen sind vollgepackt mit Informationen — dank einer äußerst dichten Darstellung des Stadtgeflechts quer durch die Zeiten.

„Jugendstilstraßen mit alternativer Szene, eine Bauhaussiedlung und die postmoderne documenta urbana“ — mit dem Programm einer „Architektur-Tour“ wird auch ein thematischer Zugang zur Stadt versucht. Zurück zum „Kasseläner“: Viel Spielraum für einen differenzierten Einblick in die nordhessische Gemütsbefindlichkeit ist im Konzept nicht drin — vielleicht liegt es auch am touristischen Genre, sich den Menschen selten anders als in Stereotypen zu nähern. Zur Innenansicht der Stadt empfiehlt es sich, das wesentlich umfangreichere Buch „Kassel zu Fuß“ hinzuzuziehen. Es ist bereits seit vier Jahren auf dem Markt, ist Lesebuch und Stadtführer in einem. Auf 17 „Stadtteilstreifzügen durch Geschichte und Gegenwart“ wird Kassel detailreich porträtiert, wobei vor allem der Bruch zwischen Vor- und Nachkriegsgeschichte deutlich wird. Christel Burghoff

Wieland Giebel (unter Mitarbeit von Horst Kuhley): Kassel. Erster Band der geplanten Reihe „Städte entdecken mit Bus und Bahn“. Dubilski Verlag, Berlin 1992, 9,80 DM

Wolfgang Rudolph, Werner Simmen (HG): Kassel zu Fuß. VSA-Verlag, Hamburg 1988, 26,80DM