■ Kommentar
: Feuriges Bekennerschreiben

Ein Feuer in einer Mahn- und Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus ist ein Attentat auf das Grundgesetz, die Verfassung, den demokratischen Konsens, auf all die Werte, die die Bundesrepublik von der Nazi-Diktatur unterscheidet. Flammen in einer Baracke, die speziell an die jüdischen Leiden erinnern, sollen ins Herz brennen. Es ist das erste Mal, daß in Deutschland ein Anschlag auf ein Konzentrationslager stattfand. Vorbereitet wurde er durch Friedhofsschändungen in Baden-Württemberg und Berlin und ein Bombenattentat auf das Mahnmal an der Putlitzbrücke, von der die jüdischen Berliner in den Tod transportiert wurden. Und vorbereitet wurde er seit Hoyerswerda.

Dennoch unterscheidet sich dieser Anschlag — und daß es einer war, steht fast außer Zweifel — von den flackernden Asylbewerberheimen, von den Molotowcocktails auf Flüchtlinge, von der alltäglichen Gewalt gegen Fremde. Denn die allnächtlichen Exzesse bedauern die Politiker nur als Ausschreitungen, weil sie nicht sehen wollen, daß sie durch die katastrophale Demontage des Asylrechts die Lunte selbst gelegt haben. Ein brennendes jüdisches Symbol hingegen ist die Materialisierung des landauf, landab skandierten Schlachtrufes »Heil Hitler«, deutlicher kann man rechtsradikalen Widerstand gegen die hilflose Parteiendemokratie in Deutschland nicht zeigen.

Es ist eine noch deutlichere Kampfansage an den Staat als all die rassistischen Überfälle auf Asylbewerberheime — so schlimm auch diese waren. Die furchtbare Vergangenheit wurde ins Gedächtnis gerufen und sollte es auch. Der Anschlag kann als Bekennerschreiben gelesen werden, daß Antisemitismus und Rassismus zwei Seiten derselben Medaille sind. Es wäre entsetzlich, wenn die Bonner Schreibtischstrategen den stets vorhandenen Zusammenhang von Antisemitismus, Fremdenhaß, Ausgrenzung und Diskriminierung erst dann erkennen, wenn morgen, übermorgen oder nächstes Jahr eine jüdische Gemeinde brennt. Die überzeugendste Antwort der Politiker — und einzig ernstzunehmende Entschuldigung — für das Feuer in Sachsenhausen wäre deshalb, endlich die Finger vom Grundgesetz zu lassen und öffentlich die schreckliche Dreieinigkeit von Asyldebatte, Ausländerfeindlichkeit und Judenhaß zu benennen. Anita Kugler